Jetzt ist es also passiert: Die Ministerin für Bildung und Forschung, Annette Schavan, ist zurückgetreten. Grund: Am fünften Februar wurde ihr der Doktortitel von der Universität Düsseldorf aberkannt.
Zu allererst: Der Rücktritt war logisch und unvermeidlich. Als Bildungsministerin ohne akademischen Abschluss (sie hatte ja den Magister quasi „übersprungen“ und direkt ihre Doktorarbeit geschrieben) und unter Plagiatsverdacht hat sie – wie es so schön heißt – ihre Glaubwürdigkeit verloren. Dass Angela Merkel sie nicht halten wollte (und vermutlich auch nicht konnte), ist unter anderem auch dem Zeitpunkt geschuldet. Welche Bundeskanzlerin will sich im Wahljahr schon eine „beschädigte“ Ministerin ans Bein binden? Man muss honorieren, dass Schavan diese persönliche Konsequenz (ihren Rücktritt) rasch (durch)gezogen hat, man erinnere sich an unrühmliche Geschichten von PolitikerInnen, die sich an ihrem Amt festgeklammert haben, als ginge es um ihr Leben (wobei es für viele bestimmt auch um ihr politisches Über-Leben ging).
Doch die ganze Geschichte um die Aberkennung des Doktortitels hinterlässt in der Tat „ein Geschmäckle“. Die ZEIT (Nr. 7/ 2013) beleuchtet das Verfahren und stellt fest: An der Uni Düsseldorf dauerte das ganze Verfahren rund neun Monate, es kamen immer wieder interne Papiere an die Öffentlichkeit, knapp die Hälfte der Mitglieder des Fakultätsrates waren selber nicht promoviert und es saß keine einziger Vertreter des Faches Erziehungswissenschaft (in dem Schavan einst ihre Arbeit „Person und Gewissen“ schrieb) im Rat. Hinzu kommt, dass auf externe Gutachter verzichtet wurde (anders als im Falle Guttenberg). Dass das Verfahren so lange gedauert hat, muss keine Bedeutung haben. Die Besetzung hätte man sich aber ausgewogener vorstellen können. Und warum sichert sich die Universität Düsseldorf nicht ab und beauftragt externe GutachterInnen? Durch externe und unabhängige Fachleute hätte das Verfahren durchaus als „objektiver“ empfinden werden können.
Schavan wird eine „systematische Vorgehensweise und damit eine Täuschungsabsicht“ vorgeworfen
Dem gegenüber steht selbstverständlich, dass der Beschluss, Schavan den Titel zu entziehen, vom Gremium fast einstimmig getragen wurde (12 Ja-Stimmen zu 2 Nein-Stimmen und einer Enthaltungen). Und es wurde auch nicht von „Ungenauigkeiten“ gesprochen, nein es wurde eine „systematische Vorgehensweise und damit eine Täuschungsabsicht“ unterstellt.
In der Presseerklärung der Uni Düsseldorf vom 5. Februar stellt der Fakultätsrat fest, „dass in der Dissertation von Frau Schavan in bedeutendem Umfang nicht gekennzeichnete wörtliche Übernahmen fremder Texte zu finden sind. Die Häufung und Konstruktion dieser wörtlichen Übernahmen, auch die Nichterwähnung von Literaturtiteln in Fußnoten oder sogar im Literaturverzeichnis ergeben der Überzeugung des Fakultätsrats nach das Gesamtbild, dass die damalige Doktorandin systematisch und vorsätzlich über die gesamte Dissertation verteilt gedankliche Leistungen vorgab, die sie in Wirklichkeit nicht selbst erbracht hatte. (…) Daher hat der Fakultätsrat Tatbestand einer vorsätzlichen Täuschung durch Plagiat festgestellt.“ Und weiter heißt es: „(…) Der Fakultätsrat [hat] mit 12 Ja-Stimmen zu 2 Nein-Stimmen und 1 Enthaltung in geheimer Abstimmung abschließend entschieden, die schriftliche Promotionsleistung von Frau Schavan für ungültig zu erklären und ihr den Doktorgrad zu entziehen.“ Die Eindeutigkeit der Entscheidung und der Wortlaut lassen kaum Zweifel zu: Schavan hat nicht nur ungenau oder schludrig gearbeitet, sondern getäuscht.
Dilemma: Hätte Schavan den Doktortitel behalten, hätte der Ruf der Universität oder der Wissenschaft allgemein gelitten
Nun muss man noch anmerken, dass diese Kommission ja unter einem erheblichen Druck stand. Nach Guttenberg und Koch-Mehrin und diversen anderen Personen wurde ja regelrecht auf mögliche Plagiate „Jagd gemacht“. Leute quer durch die Republik beteiligten sich an dem neuen Hobby. Durch diverse Plattformen wurde es leicht gemacht, Textpassagen aus wissenschaftlichen Arbeiten mit Originalstellen zu vergleichen. Die Atmosphäre wurde durch jeden neu aufgedeckten Fall mehr angeheizt. Hinzu kommt, dass PolitikerInnen als „Personen des öffentliches Interesses“ natürlich besonders im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Großes öffentliches Interesse, Druck und eine aufgeheizte Atmosphäre machen eine solche Entscheidung mit so einer Tragweite selbstverständlich nicht leichter. Lapidar gesagt stand die Kommission der Universitäten also vor der Entscheidung: Person retten oder Ruf der Uni retten? Selbstverständlich möchte sich keine Uni der Welt nachsagen lassen, man bekomme den Doktortitel bei ihr geschenkt oder man komme auch ohne wissenschaftliche Standards an den Titel.
Nicht zuletzt existiert in Deutschland aber auch eine große Unsicherheit, was das Thema „wissenschaftliches Arbeiten“ betrifft. Wenn man Glück hat, erhält man als StudentIn ein Merkblatt oder kann an einem Tutorium teilnehmen. Häufig werden aber nur Formalia beigebracht. Die Unsicherheit bleibt: Wie häufig muss man denn den Zitatnachweis erbringen: Reicht es nach jedem Absatz? Oder erst nach Abschluss des Gedankengangs? Oder muss man nach jedem Satz markieren, woher man den Gedanken/ das Zitat hat? Die Universitäten in Deutschland lassen den StudentInnen einen recht großen Spielraum, was solche Sachen angeht. Dann darf sich niemand wundern, wenn Textpassagen unterschiedlich interpretiert werden.
Fazit der „causa Schavan“: Mehr Sicherheit bei wissenschaftlichen Standards schaffen
Wenn Annette Schavans Arbeit wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügt, ist es richtig, ihr den Doktortitel zu entziehen. Man darf prominente Persönlichkeiten nicht anders behandeln als die StudentInnen von nebenan, die sich ehrlich anstrengen, ihre Arbeit genau und exakt aufzusetzen. Auf der anderen Seite bleibt aber ein schaler Beigeschmack: Inwiefern hat eben diese Bekanntheit (und der daraus entstehende Druck) ihr zum Nachteil gereicht? Um solche Fälle in Zukunft zu minimieren (ausschließen kann man das nie), bleibt nur eins: Die Unis müssen Sicherheit schaffen, exakte Standards definieren, damit Interpretationsspielräume minimiert werden. So sind beide Seiten – Unis wie Studierende – auf der sicheren Seite.