Der entstellte, in Einsamkeit lebende Erik und die hübsche, bezaubernde Sängerin Christine – das Muscial „Phantom der Oper“ gehört zu den schönsten und ergreifendsten Musicals. In Köln konnte man am Sonntag das Ensemble um Deborah Sasson erleben.
Wenn als Gradmesser für den Erfolg gilt, wie schnell dem Besucher oder der Besucherin die Zeit vergeht, dann war das Stück ein riesen Erfolg: die knapp drei Stunden Spielzeit vergehen wie im Flug und man reibt sich am Ende verwundert die Augen: Das war es schon? Zugabe!
Frische Lieder und eine kreative und aufwendige Bühnengestaltung
Auf äußerst humorvolle Weise nähert sich die Produktion von Sasson/Sauter der Geschichte um Erik und Christine aus dem Buch von Gaston Leroux aus dem Jahre 1911. Köstlich und amüsant sind die beiden frisch berufenen Direktoren der Pariser Oper, die sich gegenseitig necken und aufziehen: Der eine turtelt dauernd mit den Chormädchen, der andere zieht tuntenhaftig mit dem Spiegel umher und schafft keine zehn Meter ohne seine zarten Füßchen zu bemitleiden (was sehr lustig ist, wenn man weiß, dass die Figur eine Hüne von Mann spielt). Schwunghafte Lieder reißen das Publikum mit. Ein großes Lob auch für das unglaublich tolle Bühnenbild: Neben der „normalen“ Ausstattung auf der Bühne werden Bilder auf einen Zwischenvorhang, der als Leinwand dient, projiziert. Daraus entstehen 3D-Effekte und fügen sich farbenprächtig und stimmungsvoll ins Gesamtbild. Brillant ist auch das Phantom, Axel Olzinger. Ihm nimmt man die Kreatur zwischen Wahnsinn und Liebe ohne weiteres ab. Wenn er von seiner ruhigen und kühlen Art auf einmal in einen unberechenbaren, furienhaften Anfall taumelt, um dann schlussendlich doch vor Christine auf die Knie zu sinken und sie anzuflehen, doch bei ihm zu bleiben und ihn zu lieben: Jeder fühlt mir diesem Wesen, fühlt Mitleid und Trauer über die unerwiderte Liebe, um dann sogleich wieder von den tyrannischen Machtgebärden eines Wahnsinnigen abgeschreckt und angeekelt zu sein. Deborah Sasson singt ihre Parts mit dem Können und der Ernsthaftigkeit einer Opernsängerin. Dies ist leider auch ihre Schwachstelle: Ihr geht etwas von der Leichtigkeit, mit der die anderen Darsteller operieren, ab. Und hier und da wirkt die Mädchenhaftigkeit auch etwas übertrieben (langes, blondes Haar und ein rotes Kapuzencape erinnern unwillkürlich an das Bild, was man sich von Rotkäppchen macht). Und zwischen all den Stimmen im Musical eine „Opernstimme“ zu hören, kann beim musikalischen Laien auch durchaus zu Irritationen führen. Dass auch das einen Grund hat, erfährt man nach und nach, wenn Sasson alias Christine Lieder aus bekannten Opernstücken wie La Traviata oder Carmen singt.
Diverse Fassungen der einen Buchvorlage führen zu Verwirrung
Doch eine Überraschung bleibt nicht aus: Wenn der Vorhang gefallen ist, muss man sich zwangsläufig fragen: Ja wo sind denn die Klassiker aus „Phantom der Oper“ geblieben? Das höchst energische Stück mit dem gleichnamigen Titel, in dem das Phantom Christine zum singen antreibt („Er sang, sobald ich schlief und kam mir nah“, „Sing, mein Engel der Muse, sing“)? Oder Christines Bitte „Denk an mich“? Oder „Musik der Nacht“? Wer sich das fragt, weiß anscheinend nicht, dass es nicht DIE Musicalfassung vom Phantom der Oper gibt. Es existieren mehrere verschiedene Fassungen und die von Deborah Sasson ist nur eine davon. Die Lieder mit dem höchsten Bekanntheitsgrad stammen aus der Feder von Andrew Lloyd Webber und die kriegt man in der Sasson’schen Fassung selbstverständlich nicht zu hören. Dies kann natürlich zu großer Enttäuschung führen („Mensch, hätte ich das gewusst…“), doch auch ohne die „Klassiker“ ist die recht neue Fassung (von 2011, Webbers Fassung stammt übrigens aus dem Jahre 1986) eine absolut kurzweilige, traumhaft bunte, gesangstechnisch der Webberproduktion in nichts nachstehende Musicalaufführung, die sehr sehenswert ist. Zudem: Auf Deborah Sassons Webseite kann man nachlesen, dass sich ihre Fassung angeblich stärker als die bekannte Version von Andrew Lloyd Webber an der Romanvorlage orientiert.