Ein schwerer Verstoß gegen die Menschenrechte sei das Referendum über die Verfassungsänderung gewesen, sind sich Vertreter der Zivilgesellschaft in Aserbaidschan einig. Die Änderungen geben dem Präsidenten noch mehr Macht.
Am 26. September war das aserbaidschanische Volk aufgerufen, über Änderungen an der Verfassung abzustimmen. Dass es ein solches Referendum geben würde, wurde erst Mitte Juli öffentlich gemacht. Die Azeris und die gesellschaftlichen Gruppen erfuhren erst durch die Medien, was kommen soll. Die Kurzfristigkeit und dass es keinerlei Debatten und Diskussionsmöglichkeiten gab, kritisieren unter anderem Vertreter vom Centre for National and International Studies, dem alternativen REAL Movement und vom Institute for Reporters‘ Freedom and Safety während der Sitzung des Europarats in Straßburg. Die Einleitung sprach übrigens Nadiya Savchenko aus der Ukraine, die eindringlich die Wichtigkeit der Zivilgesellschaft beschwor.
Leyla Aliyeva kritisiert, dass die Abstimmung die Werte des Europarats untergräbt. Die neuen Änderungen vergrößern die Macht des Präsidenten, er muss sich nun erst alle 7 Jahre den offiziellen Wahlen stellen, statt alle 5. Ein Limit, wie häufig der Präsident wiedergewählt werden kann, wurde bereits im Vorfeld gekippt.
Möchte Ilham Aliyev die Macht an seinen Sohn abgeben?
Weiterhin kritisieren die Menschenrechtler, dass das Mindestalter für einen Präsidenten von 35 abgeschafft werden soll. Emin Huseynov vom Institute for Reporters’s Freedom and Safety vermutet, dass der amtierende Präsident so die Machtübergabe an seinen Sohn vorbereitet. Auch die Tatsache, dass der Präsident zwei Vizepräsidenten bestimmen kann, wovon der eine ihn vertreten kann, ohne vom Parlament abgesegnet zu sein, lässt Vermutungen zu, dass diese Plätze mit Familienmitgliedern besetzt werden sollen.
Vertreter des Europarats, die das Referendum beobachtet haben, waren vor Ort. Huseynov fragte bei der Pressekonferenz in die Runde, wie sich die Vertreter nach nur einem Tag in Aserbaidschan überhaupt ein klares Bild von der Situation hätten machen können und warum sie sich nicht mit gesellschaftlichen Gruppen beraten haben.
„Erodierte Zivilgesellschaft“
Gulnara Akhundova nennt das Referendum einen „big serious throw back into Soviet times“. Die Zivilgesellschaft sei sowieso schon völlig erodiert, für NGOs wird es immer schwieriger zu operieren und Medien seien immer mehr unter Beschuss. Das einzige unabhängige Azeri Medium berichtet aus Berlin, sagt Akhundova: „Die Medien sind gezwungen, ins Exil zu gehen.“ Journalist Huseynov findet noch deutlichere Worte: „Wo ist noch der Unterschied zwischen Aserbaidschan und Nordkorea?“ Und findet selbst eine nicht zufriedenstellende Antwort: Aserbaidschan sei immerhin Mitglied im Europarat. Die offziellen Ergebnisse des Referendums sollen am 21. Oktober vorliegen.
Aserbaidschan wird auch Land des Feuers genannt. Hell lodert es an der Grenze zwischen Orient und Okzident, wo moderner Kitsch und traditionelle Kultur aufeinandertreffen. Ich bin eine Woche durch ein Land gereist, das nicht mehr Europa, aber auch noch nicht Asien ist.
Viam und Julia stehen neben den anderen Tänzern auf der Bühne, schweißnass glänzt ihre Haut im Rampenlicht, Julias Lippenstift ist nicht mehr taufrisch. Showbusiness ist harte Arbeit. Lächelnd posen sie für Kameras, dann verschwinden sie hinter der Bühne. Eventmanager Suat sitzt hinten im Publikum. Er hat die ganze Show mitverfolgt, jetzt lehnt er sich zufrieden zurück.
Aserbaidschan ist ein ungewöhnliches Urlaubsziel, die Leute staunen, wenn man sagt, dass man nächste Woche nach Baku fliegt. Obwohl das Land des Feuers, das den Namen von den vielen brennenden Erdgasquellen erhalten hat, immer näher an Europe heranrückt: Der Eurovision Song Contest machte 2012 die Schwedin Loreen berühmt, auch Lena Meyer-Landrut trat bei dem Spektakel auf, die ersten Olympischen Europaspiele katapultierten Baku in die europäischen Nachrichten. Und dennoch ist Aserbaidschan nicht Europa, es ist ein Mix aus Orient und Okzident. Moderne Luxusresorts und pulsierendes Großstadtfeeling wechselt sich ab mit einsamen Naturerlebnissen und mystischen Begegnungen.
Wir sind in der Region Quba, im Norden Aserbaidschans. Hügel reihen sich aneinander, das Handynetz verlässt uns. Einöde. Und auf einmal: Ein Zaun, ein Empfang, es geht vorbei an tagellos gepflegten Golfplätzen, die jeden Briten neidisch gemacht hätten, schlussendlich erhebt sich ein Ungetüm aus den Bergen. Das Rixon Quba, eins von zwei 5-Sterne-Luxushotels der türkischen Kette in Aserbaidschan. Man wird erschlagen vom stoffbezogenen Sofas, roten Teppichen und schweren Kronlüstern, die unter der Decke hängen. Schick à la orientale, kitschig, schwülstig, genauso wie man es so häufig im Osten liebt.
Aserbaidschan ist stolz auf seine Luxusresorts: Man möchte westliche Kundschaft anlocken, gerne kaufkräftige. Dass man wanderbegeisterte deutsche Touristen eher mit einsamen Bergdörfern im Kaukasus und Sternenhimmel in den Bergen anlocken kann als mit Kitsch und protziger Architektur, scheint den Stadtplanern nicht in den Sinn gekommen zu sein. Man fängt erst gerade an, sich um westliche Touristen zu bemühen.
Die zögern vielleicht auch, weil sie sich fragen, ob man mit einem Besuch nicht das autoriäre Regime unterstützt: Ilham Aliyev, Sohn und Nachfolger vom großen Heydar Aliyev, der 1993 an die Macht kam und den die Aserbaidschaner als „Architekten des Landes“ verehren, lässt in seinem Staat jegliche kritische Meinungsäußerung und unabhängigen Journalismus unterdrücken. Aserbaidschan rangiert zurzeit auf der Liste von Reportern ohne Grenzen auf Platz 162 von 180, Tendenz fallend.
Religionen leben friedlich nebeneinander
Doch so sehr das Land unter der Herrschaft von Ilham Aliyev Journalisten einen Maulkorb verpasst und sie verfolgt, so tolerant geht es mit religiösen Minderheiten um. Zu 95 Prozent ist das Land muslimisch geprägt. Doch man kann auch christliche und jüdische Gemeinden besuchen. Die bekannteste – und auch einzige – jüdische Siedlung ist die „Rote Siedlung“, Krasnaja Sloboda. Hier leben knapp 3000 Bergjuden friedlich neben muslimischen Nachbarn. Ein weiteres bekanntes Gotteshaus ist die schiitische Moschee in Quba. Das Besondere: Früher war sie mal eine christliche Kirche.
Unterwegs Richtung Gebirge: Quba wird auch „Tor zu den Bergen“ genannt. Fährt man durch den 24.000-Einwohner-Ort, stellt man schnell fest warum: In der Ferne ragen die hohen Gipfel des Kaukasus empor, als wollten sie die Kleinstadt, die aber immerhin eine Universität beherbergt, umarmen. Die Straßen sind ärmlich, einige Häuser verfallen – Baku mit seiner modernen Skyline ist weit weg. In Quba gibt es vier Synogagen und drei Moscheen. Die schiitische Moschee war früher zu zaristischen Zeiten eine Kirche, nun ist sie ein muslimisches Gotteshaus. Wann genau das Haus den Patron gewechselt hat, weiß man hier nicht. Vielleicht zu Zarenzeiten, ist eine Vermutung.
Wer eintreten möchte, muss seine Schuhe ausziehen. Männer haben keinen Zutritt, ein Mädchen nimmt gerade Koranunterricht. Ihr grasgrünes Tuch hat sie um ihren Kopf geschlungen, etwas unruhig und aufgeregt wegen der Besucher rutscht sie auf dem Boden herum und bohrt ihre Socken in den weichen Teppich. Bunte, reich verzierte Kissen stapeln sich an den Wänden, Bücher mit vergoldetem Einband stehen im Regal. Vor sich hat die Schülerin auf einem Holzpult einen Koran, aus dem sie ihren beiden Lehrerinnen vorliest. Man merkt, dass sie lieber hinübergeschaut hätte, doch die Lehrerinnen lassen das nicht zu. Rund 30 Mädchen werden zurzeit in der Koranschule unterrichtet, erzählen die Moscheediener. Selbst sie dürfen nicht eintreten und warten draußen. Selbstverständlich findet der Unterricht getrennt von den Jungen statt – auch wenn prinzipiell beide Geschlechter das gleiche lernen. Knapp ein Jahr dauert die Koranausbildung. Da sind die Muslime streng.
Zurück im Resort. Unser Begleitung beim Abendessen heißt Suat, 34 Jahre alt. Er ist der Eventmanager des Hotels. Suat kommt aus Antalya in der Türkei, seit fünf Monaten lebt er in der aserbaidschanischen Provinz. Quirlig wie ein Stehaufmännchen bei nur knapp 1,65 Meter Größe, wuselt er herum. „Man nennt mich auch den kleinen Türken“, meint er lachend. Er ist sich für nichts zu schade, begleitet seine Gäste den ganzen Abend, der geborene Entertainer. Besonders stolz ist er auf seine Show. Schon während des ganzen Abendessens erzählt er von nichts anderem als von den Tanzeinlagen seiner „ukrainischen Mädels“. Die Reisegruppe reagiert verhalten bis belustigt. Ukrainische Mädels? Das weckt Assoziationen.
Doch Journalisten sind ja von Natur aus neugierige Menschen: Um elf Uhr sitzt man im Eventraum, und Suat hat nicht zu viel versprochen: Fast eine Stunde lang gibt eine Gruppe junger Frauen und Männer alles: Von Cancan-Hiphopmischungen und Walzertänzen, die von Schnulzen begleitet werden. Suat rast mit seinem Programm, das er selber zusammengestellt hat, mal eben quer durch die Musikgeschichte. Seine jüngste Entdeckung: Viam, braune Haare, hager, er wird uns heute Abend den Frank Sinatra machen. In weißem Anzug und schwarzem Glitzerhemd mit Sonnenbrille singt sich Viam die Seele aus dem Leib: New York New Yoooooork. Nicht nur für den ukrainischen Sänger ist der Tag lang, auch bei Suat hinterlässt der anstrengende Arbeitstag Spuren. Das fröhliche Gesicht für die Touristen, der sorgenvolle, konzentrierte Blick, wenn er etwas organisiert. Schnell checkt er SMS und Mails, schaut sich kritisch die Performance an, man ahnt, dass er ein anspruchsvoller Chef ist. Währenddessen tanzen, hüpfen und hopsen die Frauen in schwarzen Paillettenkleidern und Federn oder im Schulmädchenoutfit über die Bühne. Einige hoffnungsvolle Talente sind dabei, manche Möchtegern-Stars, im Großen und Ganzen eher 2B-Tänzer als die Crème de la Crème. Aber würde man sonst in der aserbaidschanischen Pampa Hotelgäste aus Russland unterhalten statt auf den Brettern zu stehen, die die Welt bedeuten – in Theatern oder Opernhäusern?
Julia, eine der Tänzerinnen, werden wir auch nachher auf der Tanzfläche treffen. Entspannt lässt die Ukrainerin den Abend ausklingen. Seit drei Monaten ist sie hier. Tagsüber arbeitet sie als Animateurin im Spabereich, abends steht sie auf der Tanzfläche. Die anderen Mitglieder des Ensembles kennt sie schon von Kindheitstagen an, man ist als Gruppe hierhergekommen. Wo ist für Julia der Unterschied zwischen Aserbaidschan und Ukraine? Ist Aserbaidschan das gelobte Land für arbeitssuchende ukrainische Künstler? Doch um diese Frage zu beantworten, reichen ihre Englischkenntnisse nicht. Vielleicht ist es auch das grelle Discolicht und die wummernde Technomusik, die die Kommunikation erschwert.
Baku – das Tor nach Aserbaidschan
Wer nach Aserbaidschan reist, kommt an Baku nicht vorbei, dem Anfangs- und Endpunkt jeder Reise. Die Hauptstadt hat ein ganz eigenes Flair, ein Mix aus Paris, Dubai und Mailand. Eine Mischung aus moderner Metropole, durch die in der Altstadt ein Hauch von archaischer Tradition weht. Baku hat einen der längsten Boulevards der Welt: Aktuell ist er sechs Kilometer lang und soll noch wachsen. Auf dem schicken Streifen am Kaspischen Meer, der von Palmen gesäumt ist, lässt es sich flanieren wie an der Côte d‘ Azur. Es ist heiß in der Hauptstadt: Mitte September kann es durchaus noch 30 Grad und mehr werden. Die Menschen sind auf den Beinen, Geschäfte und Café sind gut gefüllt.
Wir möchten uns die Zukunft vorhersagen lassen. Unser Dolmetscher hat den Kontakt zu einer Wahrsagerin hergestellt. Wir treffen sie gegenüber des Puppenthaters. Wer eine Kristallkugel und mystischen Zauber erwartet hat, wird enttäuscht. Eine kleine, alte Frau mit brauner runzliger Haut geht auf uns zu. Ihre Gestalt endet in rosa Sandalen, schwarze Netzstrümpfe hüllen ihre klobigen Füße ein. Am Körper trägt sie ein gestreiftes Kleid, ein weißes Tuch mit glitzernden Pailletten verhüllt ihre Haare. 68 sei sie, erzählt die Frau aus Sumqayit, einer Industriestadt nördlich von Baku, sie sieht aber aus wie 90. Herzlich begrüßt sie die Menschen und drückt einem ein Küsschen auf die Backe, ein Lachen entblößt einen fast zahnlosen Mund, ein einzelner Zahn ragt aus dem Mundwinkel auf. Wir machen es uns auf einer Parkbank im Schatten bequem. Hand auflegen, Beschwörungsformeln murmeln braucht es nicht.
Der Prophet Khizi hat mich im Traum besucht und mir diese Gabe offenbart.
Man nimmt neben ihr Platz, und schon sprudelt es aus ihr heraus, der Dolmetscher kommt kaum hinterher. Ob man Knieprobleme habe oder Bluthochdruck? Du musst mit deinem Herzen aufpassen! Hat man keinen Freund? In nächster Umgebung gebe es da jemanden. Bereits als Kind konnte sie die Wahrheit vorhersagen, erzählt sie. Der alte Prophet Khizi hat sie im Traum besucht und ihr diese Gabe offenbart. Ihr Platz ist normalerweise unter dem Feigenbaum am Beshbarmag-Berg, dem Fünffinger-Berg, dort sagt sie den Besuchern die Zukunft voraus. Ja, man werde alle Ziele erreichen und ein neues Auto erhält man auch. Soweit ist es fast bei jedem gleich, reingefallen möchte man schon denken. Doch dann mischen sich bei den ersten ein nachdenklicher Ton unters alberne Lachen. Woher weiß sie, dass eine Reiseteilnehmerin sich von ihrem Mann hat scheiden lassen? Und dass ein anderer als Kind fast ertrunken wäre? Diejenige, die am meisten gezweifelt hatte, staunt nun: „Die hat mich ja richtig gut beschrieben“, gibt die Teilnehmerin zu. Geduldig lässt sich die Wahrsagerin fotografieren. Nein sie will kein Geld, sagt sie, nimmt dann aber die zehn Manat (umgerechnet neun Euro) pro Person doch gerne an. Sie verabschiedet sich mit den besten Wünschen und verschwindet in der Metrostation.
Die Vorstellung im Hotel in Quba ist mittlerweile beendet. Suat, der Eventmanager, ist zufrieden. Er knipst sein Showlächeln an und hüpft selber auf die Bühne. Der 34-jährige Türke lässt jeden Tänzer einzeln hervortreten, sorgt dafür, dass jeder seinen verdienten Applaus erhält. Der Saal, der anfang noch recht leer war, hatte sich im Laufe der Stunde gut gefüllt. Die Gäste johlen. „Can can can – Azerbaijan“, rufen sie. Suat hat sich diesen Spruch selbst ausgedacht, auf ihn ist er besonders stolz. „Can“ heißt auf türkisch „Seele“, also frei übersetzt: Aserbaidschan, du bist meine Seele. Eine Liebeserklärung ans Land. Die Gäste sind begeistert, Suat erleichtert. Er hat es wieder mal geschafft.