Wie berichten JournalistInnen bei Katastrophen?

Leverkusen ist vergangenes Jahr von Krisen nicht verschont geblieben: Zuerst das Hochwasser, dann die Explosion im Chempark. Über Journalismus in Katastrophenzeiten habe ich am Gewerkschaftstag des Deutschen Journalistenverbands NRW im November in Dortmund diskutiert.

In Katastrophen- und Krisenzeiten läuft Lokaljournalismus zu seiner Höchstform auf: Wer sonst könnte in diesen Situationen die Menschen vor Ort besser, schneller und umfassender informieren? Auf dem DJV-Journalisten-Tag habe ich gemeinsam mit Stefan Brandenburg, Leiter des Newsrooms vom WDR, und dem freien Journalisten Kay Bandermann darüber debattiert, wie man trotz Ausnahmesituationen – in der sich schließlich auch die Redaktionen befinden – fundierte und vor allem schnelle Berichterstattung auf die Beine stellen kann.

Journalistentag 2022, Fotograf: Alexander Schneider
Agatha Mazur bei der Podiumsdiskussion am DJV-NRW-Tag im November 2022. Fotograf: Alexander Schneider

Es ging beispielsweise um die Frage, wie man Aktualität und Hintergrundinformationen gewichtet. Ich behaupte: In den ersten 24 bis 36 Stunden einer Katastrophe will kaum ein Leser oder eine Leserin etwas zu den Hintergründen wissen: Es zählt zuallererst die aktuelle Entwicklung.

Richtige Fragen müssen gestellt und beantwortet werden

Was passiert gerade wo, welcher Einsatz läuft, welche Straße ist überflutet, bin ich gefährdet durch die Rauchwolke? Erst mit einiger Verzögerung erwacht das Interesse der Bevölkerung an Hintergründen,  Analysen und Fragen nach der Vorgeschichte oder möglichen Verfehlungen – dann aber muss der Lokaljournalismus diese Fragen stellen und Antworten liefern.

Und auch dranbleiben. Es ist durchaus eine Gratwanderung: Wie berichtet man in den Wochen, Monaten oder sogar Jahren nach einer Katastrophe mit welcher Intensität oder Frequenz – schließlich dreht sich die Welt weiter und die nächste Krise steht schon vor der Tür. Das Wort „Chronistenpflicht“ mag ich nicht, man sollte schließlich keine Berichterstattung um ihrer selbst willen machen. Das Interesse unserer Leserschaft muss eine der wichtigsten Prämissen bleiben. Und dennoch bin ich der Meinung, dass man solch einschneidenden Ereignisse möglichst langfristig und intensiv begleiten sollte: Um der Leserschaft das ganze Bild zu vermitteln und auch um ihr zu zeigen, dass wir JournalistInnen an wichtigen Themen dranbleiben und nicht nur „die nächste Sau durchs Dorf treiben“, wie der Vorwurf manchmal lautet.

Rege Nachfragen aus dem Publikum haben uns SpeakerInnen gezeigt, dass das ein wichtiges Thema innerhalb der Branche ist und es kein einheitliches Konzept gibt. Jede Katastrophe ist eben einzigartig und man muss individuell auf sie reagieren. Ich befürchte, wir werden in Zukunft noch genug Gelegenheiten haben, unsere Kompetenz unter Beweis zu stellen.

Mehr über den Journalistentag 2022 erfahrt ihr hier.

Header-Bild: Kay Bandermann (l.), Agatha Mazur und Stefan Brandenburg diskutieren in Dortmund (Bildcredit: Alexander Schneider)

Pressefreiheit in der Türkei: Der „peak point“ ist erreicht

Die Einschränkungen nehmen zu, mehr als 130 Medienhäuser mussten laut Reporter ohne Grenzen ihre Berichterstattung bereits aufgeben. Ferda Cetin, General Coordinator eines kurdischen Fernsehsenders, klagt an. Fragen zur Meinungs- und Pressefreiheit musste sich auch der türkische Außenminister Cavusoglu (Bild oben, vor Journalisten im Europarat) stellen.

„Der peak point ist erreicht“, sagt Ferda Cetin. Er leitet Med-Nuc TV, einen kurdischen Fernsehsender. Allein in den letzten Wochen mussten 12 Fernseh- und 11 Radiosender ihre Pforten schließen. Auch Med-Nuc TV hatte eine Nachricht bekommen. Sie müssen dicht machen. Grund? „Bedrohung der öffentlichen Sicherheit“, heißt es laut Cetin. Doch die Journalisten wollen weiterkämpfen, schließlich hätten sie eine europaweite Lizenz, sagt Cetin. Er versucht, seine Sendungen jetzt durch andere Satellistenfrequenzen aus Brüssel zu senden. Auch weitere kurdische Fernsehsender senden mittlerweile aus Skandinavien oder Zypern.

„Erdogan is creating a dictatorship“, sagt Ferda Cetin. Ertugrul Kurkcu, Abgeordneter der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in Straßburg, sieht es ähnlich: „The sphere of democracy and press freedom is shrinking on a mininum.“

Türkischer Außenminister Cavusoglu vor dem Plenum im Europarat

Presse- und Meinungsfreiheit sind Menschenrechte. Zu denen musste sich der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu (Bild oben) Fragen gefallen lassen, als er die Parlamentarische Versammlung in Straßburg besuchte. Denn die sind in der Türkei nach dem versuchten Putsch am 15. Juli durch die Ausrufung des Notstands und Außerkraftsetzung von Paragrafen offiziell eingeschränkt. Wann der Notstand denn wieder aufgehoben wird, wurde er nach seiner Rede im Plenum des Europarats gefragt.

Cavusoglu machte darauf aufmerksam, dass Frankreich ja auch den Ausnahmezustand nach den Attentaten ausgerufen und verlängert habe. Und nein, er wolle keine Vergleiche ziehe, sagte er und zog ihn genau durch diese Rede aber: In der Türkei habe es 10 oder mehr Anschläge in letzter Zeit gegeben. So legitimiert der Außenminister das Fortbestehen des Notstands. Wenn sich der Zustand bei uns normalisiert, wird er aufgehoben, sagte er unverbindlich.

Weiterhin eins der Schlusslichter beim Thema Pressefreiheit

Die Abgeordneten befragten den türkischen Außenminister weiter zu der Beweislage gegen Fetullah Gülen, wie er es mit der Todesstrafe, die neuerdings wieder zur Debatte steht, halte und was die Türkei beim Frozen Conflict um Berg-Karabakh zwischen Armenien und Aserbaidschan zu tun gedenke. Trotz freundlicher Worte – schließlich war Mevlüt Cavusoglu zwei Jahre lang Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarats gewesen – zeigten die Abgeordneten, dass sie Anworten von ihm haben wollten. Überraschende Antworten gab es allerdings nicht. Und auch keine absehbaren Verbesserungen für die türkischen Medien. Die Türkei befindet sich mittlerweile auf Platz 151 von 180 auf der Rangliste der Pressefreiheit, die Reporter ohne Grenzen aufstellt.

Ferda Cetin (auf der Tribüne, zweiter von links) berichtete während des Europarats in Straßburg von den Repressalien, denen türkische und kurdische Medien ausgesetzt sind.
Ferda Cetin (auf der Tribüne, zweiter von links) berichtete während des Europarats in Straßburg von den Repressalien, denen türkische und kurdische Medien ausgesetzt sind.

 

 

Aserbaidschan rückt weiter von Europa ab

Ein schwerer Verstoß gegen die Menschenrechte sei das Referendum über die Verfassungsänderung gewesen, sind sich Vertreter der Zivilgesellschaft in Aserbaidschan einig. Die Änderungen geben dem Präsidenten noch mehr Macht.

Am 26. September war das aserbaidschanische Volk aufgerufen, über Änderungen an der Verfassung abzustimmen. Dass es ein solches Referendum geben würde, wurde erst Mitte Juli öffentlich gemacht. Die Azeris und die gesellschaftlichen Gruppen erfuhren erst durch die Medien, was kommen soll. Die Kurzfristigkeit und dass es keinerlei Debatten und Diskussionsmöglichkeiten gab, kritisieren unter anderem Vertreter vom Centre for National and International Studies, dem alternativen REAL Movement und vom Institute for Reporters‘ Freedom and Safety während der Sitzung des Europarats in Straßburg. Die Einleitung sprach übrigens Nadiya Savchenko aus der Ukraine, die eindringlich die Wichtigkeit der Zivilgesellschaft beschwor.

Leyla Aliyeva kritisiert, dass die Abstimmung die Werte des Europarats untergräbt. Die neuen Änderungen vergrößern die Macht des Präsidenten, er muss sich nun erst alle 7 Jahre den offiziellen Wahlen stellen, statt alle 5. Ein Limit, wie häufig der Präsident wiedergewählt werden kann, wurde bereits im Vorfeld gekippt.

Möchte Ilham Aliyev die Macht an seinen Sohn abgeben?

Weiterhin kritisieren die Menschenrechtler, dass das Mindestalter für einen Präsidenten von 35 abgeschafft werden soll. Emin Huseynov vom Institute for Reporters’s Freedom and Safety vermutet, dass der amtierende Präsident so die Machtübergabe an seinen Sohn vorbereitet. Auch die Tatsache, dass der Präsident zwei Vizepräsidenten bestimmen kann, wovon der eine ihn vertreten kann, ohne vom Parlament abgesegnet zu sein, lässt Vermutungen zu, dass diese Plätze mit Familienmitgliedern besetzt werden sollen.

Vertreter des Europarats, die das Referendum beobachtet haben, waren vor Ort. Huseynov fragte bei der Pressekonferenz in die Runde, wie sich die Vertreter nach nur einem Tag in Aserbaidschan überhaupt ein klares Bild von der Situation hätten machen können und warum sie sich nicht mit gesellschaftlichen Gruppen beraten haben.

„Erodierte Zivilgesellschaft“

Gulnara Akhundova nennt das Referendum einen „big serious throw back into Soviet times“. Die Zivilgesellschaft sei sowieso schon völlig erodiert, für NGOs wird es immer schwieriger zu operieren und Medien seien immer mehr unter Beschuss. Das einzige unabhängige Azeri Medium berichtet aus Berlin, sagt Akhundova: „Die Medien sind gezwungen, ins Exil zu gehen.“ Journalist Huseynov findet noch deutlichere Worte: „Wo ist noch der Unterschied zwischen Aserbaidschan und Nordkorea?“ Und findet selbst eine nicht zufriedenstellende Antwort: Aserbaidschan sei immerhin Mitglied im Europarat. Die offziellen Ergebnisse des Referendums sollen am 21. Oktober vorliegen.

Die Vertreter der verschiedenen Institute mahnen auf der Pressekonferenz in Straßburg, dass durch das Referendum die Macht des Präsidenten wächst.
Die Vertreter der verschiedenen Institute mahnen auf der Pressekonferenz in Straßburg, dass durch das Referendum die Macht des Präsidenten wächst.

Francois Hollande – wird der Präsident nochmals kandidieren?

Zur einer erneuten Kandidatur als französischer Präsident möchte sich Hollande erst im Winter äußern – aber mit seinem Besuch beim Europarat in Straßburg gab er sich staatsmännisch und zukunftsorientiert. Das sollte auch ein Signal an die Franzosen sein.

Bereits Mitte September hatte er mit einer Grundsatzrede vor dem linken Thinktank Jean-Jaures Aufmerksamkeit erregt und die Gerüchte über eine erneute Kandidatur angefacht. Offensichtlich möchte der Präsident die verbleibenden Wochen bis zum Parteitag der Sozialisten nutzen, um „sein Image als oberster Interessenvertreter der Nation“ zu pflegen, schreibt der SPIEGEL.

Auch bei seiner Rede vor dem Europarat ging es um Frankreich, la Grande Nation, und ihre Stellung in Europa. Mehrmals betonte Hollande das enge Verhältnis von Frankreich zu den europäischen Institutionen wie dem Europarat und stilisierte sich als Hüter der Menschenrechte. Selbst als Abgeordnete kritisch nachfragten, wie Frankreich es mit der Wahrung der Menschenrechte nach Inkrafttreten des Notstands nach den Attentaten vom 13. November 2015 hielt, bekräftigte der Präsident, dass alle Maßnahmen wie beispielsweise Hausdurchsuchungen immer unter richterlicher Anordung geschähen. Grundsätzlich könne diese Situation keine dauerhafte Lösung sein, so Hollande und zeigte auf, dass er den Ausnahmezustand in absehbarer Zeit wieder absetzen möchte.

Außenpolitische Fragen standen auf der Agenda

Der französische Präsident betonte in seiner Rede und in der anschließenden Fragerunde im Plenum des Europarats, dass er sich schnellstmöglich eine Lösung in Syrien und in der Ukraine wünscht, und bekräftigte seine Gesprächsbereitschaft mit Putin. Zurzeit tobt ein Machtkampf zwischen den beiden Präsidenten. Putin hatte seinen geplanten Besuch in Paris abgesagt – offenbar, weil Frankreich harsche Kritik an Russland angebracht hat und sogar von russischen Kriegsverbrechen in Syrien gesprochen hat.

Darüberhinaus hatte Russland erst vor wenigen Tagen einen Vorschlag Frankreichs für eine sofortige Feuerpause in Aleppo im UN-Sicherheitsrat blockiert, indem es ein Veto eingebracht hatte. Die Russen selbst hatten ihre eigene Resolution zur Abstimmung gestellt. Die sah zwar laut der ZEIT einen Waffenstillstand vor, allerdings kein Verbot von militärischen Flügen über der syrischen Stadt – und fiel ebenfalls bei der Abstimmung durch. Francois Hollande kritisierte Russlands Veto, bekräftigte dennoch seine Gesprächsbereitschaft mit Russland. „Toujours – la dialogue“ waren seine eindringlichen Worte. Ohne Dialog geht es nicht.

Die Freiheit gegen Terror  verteidigen, obwohl man selbst mehrfach getroffen wurde: Hollande zeichnete das Bild einer verwundeten Nation, die stolz weitermacht und ihre Werte verteidigt. Das Gleichgewicht haben wir gefunden, sagte er. „Sicherheit und Selbstsicherheit sind mit den Werten des Rechtsstaats vereinbar“, ist seine Konklusion. Frankreich ist ein Land, das gegen den Terrorismus kämpft. Es klingt danach, als würde er gerne weiterhin an der Spitze des kämpfenden Frankreichs stehen wollen.

Urlaubsspaß trotz Terror?

Anschläge und Attacken erschüttern Deutschland und Frankreich zur Sommerferienzeit. Darf man trotz des Terrors Spaß im Urlaub haben – oder sollte man vielleicht gerade deswegen?

Ein Lkw-Fahrer rast in eine Menschenmenge, ein Jugendlicher geht mit einer Axt auf Passagiere in einer Bahn los, ein Amokläufer erschießt Menschen in einem Einkaufszentrum und in einer beschaulichen Kleinstadt zündet jemand einen Sprengsatz. Man liest das, hört das, sieht die Bilder im Fernsehen, schüttelt den Kopf…und verbringt den Rest des Tages seelenruhig am Strand. Terror zu Urlaubszeiten: Wie geht man damit um? Informiert man sich, diskutiert darüber und lässt zu, dass die Nachrichten was mit einem selbst machen und den Charakter des Urlaubs verändern? Oder genießt man den Urlaub trotzdem – vermeidet vielleicht sogar bewusst die Berichterstattung, um sich die „schönste Zeit des Jahres“ nicht vermiesen zu lassen? Mit oder ohne schlechtes Gewissen?

All diese Fragen hab ich mir gestellt, als mich einige der Nachrichten auf dem Weg in den Sommerurlaub erreicht haben. Und ich habe alle Phasen durchlaufen. Bei dem Amoklauf in München habe ich noch an der Autobahnraststätte versucht, mich über Spiegel Online auf dem Laufenden zu halten, was denn eigentlich passiert sei und wie der Stand der Dinge ist. Beim Anschlag in Ansbach habe ich das nur so mit halbem Ohr mitbekommen und dann trotzig gesagt: Nein, ich will jetzt darüber nichts Genaueres wissen, ich bin jetzt im Urlaub und habe Spaß. Basta. Bis sich das schlechte Gewissen eingeschlichen hat: Wie es den Menschen in Deutschland oder an den Anschlagsorten gerade geht oder den Angehörigen der Opfer gar? Sie machen gerade die Hölle durch und ich liege verträumt am Strand. Darf man überhaupt unter solchen Bedingungen unbeschwerte Freude im Urlaub haben oder hat man das Gefühl, Feriengefühle seien deplatziert und zeugten nur von mangelnder Empathie?

Dass man sich diese Fragen stellt, zeigt, dass wir fühlende Menschen sind, die sich Gedanken um andere machen. Und doch sind diese Fragen auch widersinnig. Jeden Tag passiert zu jeder Zeit irgendwo auf der Welt irgendwas und wenn man immer mitfühlen würde, tagelang schockiert sein würde, und sich davon aus seinem Leben reißen lassen würde, hätte man rasch keine Freude am Leben mehr. Gerade durch die Medien und das Internet erscheinen einem Ereignisse immer sehr nah. Dessen muss man sich bewusst sein. Früher war der Kreis, in dessen Radius die Leute (positive wie negative) Ereignisse mitbekommen haben, einfach viel kleiner als heute, wo alles innerhalb kürzester Zeit, ja immer häufiger zeitgleich, präsent ist. Doch man darf nicht alles zu nah an sich heranlassen, sonst wird man von dem negativen Sog verschluckt.

Und wollen die Attentäter nicht genau das? Ein Gefühl der allgegenwärtigen Angst verursachen, eine Gesellschaft, die nicht mehr Spaß haben kann und in Ruhe in Ferien fahren kann, um sich zu erholen. Lebensfreude, Genießen, neue Sachen entdecken sind durchaus Grundpfeiler der westlichen Gesellschaften und kennzeichnen deren Stil. Das will der IS und seine Anhänger, auch wenn sie einzeln handeln, bekämpfen und ein Klima der Angst erzeugen, in dem all das erstickt wird.

Wobei mir auch bewusst ist, dass man hier nicht von den Attentäter sprechen kann, da man nicht alle über einen Kamm scheren kann. Hier beziehe ich mich eher nicht auf Einzeltaten von singulären Tätern, die in der Tat offensichtlich ein Ventil für alles negative Angestaute sehen, wie bei dem Fall in München, sondern auf den systematischen Terror, den zum Beispiel der IS als Strategie verfolgt und nach dessen Kriterien er Anschläge verübt und für sich deklariert.

Diesen Menschen spielen natürlich auch die singulären Anschläge, die eigentlich nicht auf deren Konto gehen, in die Hände. Weil sie möchten, dass sich die Leute grundsätzlich am Strand nicht mehr sicher fühlen, sich Gedanken machen, ob der nächste Wochenendtrip nach München gehen muss oder ob man nicht besser Großstädte meidet – aber nein, Ansbach ist doch auch ein kleines Nest -, und von Regionalbahnen und Einkaufszentren sollten wir uns in nächster Zeit wohl auch besser fernhalten?

Wer in diese Gedankenspirale fällt, handelt menschlich und durchaus natürlich – der Mensch will Risiken vermeiden – aber er sorgt auch dafür, dass die Strategie des Terrors aufgeht. Informieren, mitfühlen, zulassen, dass die Nachrichten einen schockieren, sich aller Facetten bewusst werden – und dann trotz Terror (und das meine ich wörtlich: Dem Terror und den Attentätern zum Trotz) in Ruhe den Urlaub genießen, das ist meiner Meinung nach die beste Strategie gegen den Terror.

In oder Out? Großbritannien vor dem EU-Referendum

Es ist das absolut beherrschende Thema in den britischen Medien: Sollen die Briten die Europäische Union verlassen oder entscheiden sie sich am 23. Juni dafür, weiterhin Teil von Europa zu sein?

Die Fronten sind verhärtet: Anhänger der Leave oder Remain-Kampagne haben sich in den jüngst ausgetragenen Fernsehduellen beschimpft. Die Zeitungen sind voll mit Meinungsbeiträgen, Fernsehteams rücken aufs Land aus, um zu erfahren, was die Briten wirklich denken. Die Bürger der Insel stehen vor einer historischen Wahl, die nicht nur ihr Leben, sondern auch das des europäischen Festlandes oder sogar der Welt verändern könnte.

Die wichtigsten Themen, um die die Briten streiten, sind Wirtschaft, Immigration und Sicherheit. Die Pro-Europäer behaupten, dass Großbritannien seine Sicherheit nur gewährleisten kann, wenn es Teil der EU bleibt: „Intelligence-sharing systems within the EU are vital to keeping this country safe“, behaupteten Premierminister David Cameron und Home Secretary Theresa May laut der Tageszeitung „The Daily Telegraph“.

Ohne die EU sei Großbritannien bei der Terrorbekämpfung besser dran

Die Anhänger der Leave-Kampagne widerum behaupten, dass Großbritannien Terror besser bekämpfen kann, wenn es aus der EU austritt. Die Europäische Union sei eher „driven by those who see institutions appropriating power, rather than people doing the job in hand“, schreibt Security Minister John Hayes in einem Gastbeitrag im „The Daily Telegraph“. Und weiter: Die EU sei „too rigid to deal with the pan-national terrorist threat.“

Niemand weiß, was passieren wird, wenn Großbritannien aus der EU austritt – und welche Auswirkungen das auf die Wirtschaft hat. Die Ratingsagentur Standard & Poor’s kündigte an, das Land herunterstufen zu wollen, sollte es für den Austritt stimmen. „There is no clear Plan B in the UK and we are not going to wait until we find out what the British position actually is“, zitiert die Tageszeitung Moritz Kraemer von der Ratingagentur. Aktuell besitzt das Königreich die Bestbewertung: AAA. Doch auch die EU könnte schlechter bewertet werden, schließlich verliert sie eines der best zahlenden Mitglieder, warnt Standard & Poor’s.

Noch hängen sie einträchtig nebeneinander: Die Flagge der Europäischen Union neben der britischen. Dazwischen die schottische, denn das Bild wurde vor dem schottischen Parlament in Edinburgh aufgenommen.
Noch hängen sie einträchtig nebeneinander: Die Flagge der Europäischen Union neben der britischen. Dazwischen die schottische, denn das Bild wurde vor dem schottischen Parlament in Edinburgh aufgenommen.

Sowieso: Das liebe Geld. Seit Margaret Thatcher den „Briten-Rabatt“ ausgehandelt hat („I want my money back“), ist Großbritannien nicht wohl bei dem Gedanken, so viel Geld an die EU zu überweisen. Das nutzen die Anhänger der Leave-Kampagne weidlich aus. In TV-Werbespots erklären sie, dass Großbritannien pro Woche 350 Millionen Pfundan die EU überweist – und sie fordern, dass Geld lieber in neue Krankenhäuser und generell in die Gesundheitsversorgung zu stecken. „Take back control“, ist ihr Slogan. „That is cold hard cash that belongs to the people of this country that is sent back every year, every week, to Brussels“, schürt Londons Ex-Bürgermeister und prominentestes Gesicht der Leave-Kampagne, Boris Johnson, das Feuer. Er war sich in einer der jüngsten Fernsehdebatten sicher, dass „Britain would propser as never before“, sollte es die EU verlassen. Johnsons Gegner werfen ihm vor, den Brexit nur für seine eigene Karriere nutzen zu wollen und auf den Posten des Premier Ministers zu schielen.

Nein-Sager wählen eher mit „passion“

Und die Bürger? Viele sind verunsichert und wissen nicht genau, welchen Zahlen und Szenarien sie Glauben schenken sollen. Andere wiederum haben sich ihre Meinung schon längst gebildet. Eine Zufallsbegegnung im Cafe in den schottischen West Highlands, bei Tee und  Scones kommt man ins Gespräch. Ein junger Angestellter im öffentlichen Dienst aus London ist zurzeit auf Dienstreise und nutzt einen halben freien Tag, um ein wenig Sightseeing zu betreiben. Bislang dachte er, dass seine Landsleute letztlich doch für einen Verbleib in der EU stimmen werden, erzählt er. Doch mittlerweile sei er sich da nicht sicher. Die Brexit-Befürworter würden einen intensiven Wahlkampf führen, die Nein-Sager würden „with passion“ wählen gehen. Im Gegensatz dazu die EU-Befürworter, sie führen einen Wahlkampf, der nur auf die negativen Konsequenzen eines Austritts gerichtet ist, statt die positiven Seiten der EU hervorzuheben, bemängelt der Londoner. Es scheint, als würden die Brexit-Befürworter ihre Wähler eher mobilisieren und emotional ansprechen können. Er wird auf jeden Fall für „Remain“ wählen, sagt er.

Grundsätzlich sind die Schotten eher pro-europäisch eingestellt. Sie haben sich ja vor zwei Jahren in einem eigenen Referendum für ihren Verbleib im Vereinigten Königreich entschieden – und somit auch für den Verbleib in der Europäischen Union. In Umfragen bestätigt sich der Trend: 51 Prozent der Schotten haben sich laut einer Umfrage der internationalen Agentur TNS für den Verbleib in der EU ausgesprochen, nur 21 Prozent waren dagegen. Wenn Großbritannien tatsächlich austreten würde, wäre das auf jeden Fall eins: Eine historische Zäsur in der Geschichte der Europäischen Union, die zu Konsequenzen und Umwälzungen führen würde, die wir heute noch gar nicht absehen können.

Von heimatlosen Medien und ausgehungerten Trollen

Zuerst eine Warnung an alle LeserInnen: Dieser Artikel enthält nur Text und ein Bild. Kein Video, kein Storify, kein embeddedes Snapchat. Und er ist auch einen Tag zu spät, ganze 24 Stunden – Äonen in der digitalen Welt.

Aber das hält mich nicht davon ab, einfach zu rekapitulieren, was ich gestern vom Frankfurter Tag des Online Journalismus mitgenommen habe. Einfach so heruntergeschrieben, für mich. Ganz analog.

Die Veranstaltung war sehr spannend und hat eins gezeigt: Linear ist tot. Statisch ist tot. Trolle sind (endlich) tot. Alle waren sich einig: Lineare mediale Angebote, wie es sie bislang gab, beispielsweise im Fernsehen, wird es in naher Zukunft nicht mehr geben. Alles ist im Flow, ist in kleine Stücke zerlegt, die sich der User je nach Bedarf und Lust heranholt und „konsumiert“. Kleine, kurze Videos, die Aufmerksamkeitsspanne der Nutzer ist nicht groß.

Alle (mittlerweile nicht mehr ganz so) neuen Tools wie Snapchat und Youtube bedienen genau diese Häppchenmentalität. Doch man darf nicht den Fehler machen, daraus abzuleiten, dass alles seichte Unterhaltung sein muss. Für die jungen Leute, die eh keine Ahnung haben?! Höchste journalistische Qualität ist dennoch gefragt, auch die ach so Jungen sind nicht blöd, sie wollen auch Infos – nur anders aufbereitet als früher.

Nichts ist wichtiger als die Community

Und sie wollen sich als Teil einer Community fühlen. Das ist der große Erfolg von den bekannten Youtubern von LeFloid und wie sie alle heißen, aber auch von den Social Media Kanälen der großen Marken. „Die Welt“ ist ein Beispiel, wie man mit Geduld und Humor nervige Trolle von den Seiten vertreiben kann und eine Community entstehen lassen kann. Die wächst, wird gehegt und gepflegt. Das trägt zur Markenbindung bei und schlägt sich (hoffentlich, denn das darf man ja nicht außer Acht lassen) zur „Monetarisierung“ bei (was für ein herrliches Wort….).

Konkret wollte Niddal Salah-Eldin, Chefin des Social Media Teams der Welt, nicht darauf eingehen, aber diese Vorsicht kann man verzeihen. Die Zuwächse an Fanzahlen und Zugriffsraten machen auf jeden Fall neidisch. Diese „Kenne-deine-Community-und-binde-sie-an-dich“-Strategie sieht man auch bei Edition F. Der Frauenblog schaut genau hin: Was wollen meine Userinnen lesen, was bewegt sie? Da wird ganz gezielt darauf hingearbeitet: Mit enormem Erfolg.

Das Ohr ganz nah „bei de Leut“

Auch bei den „klassischen“ Tageszeitungen wird das Social Web immer wichtiger. Es wird immer wichtiger für RedakteurInnen, ihr Ohr ganz nah an der Community zu haben. Um sich nichts entgehen zu lassen, entwickelt die Rheinische Post aus Düsseldorf derzeit ein „Listening Center“, ein Tool, um die sozialen Netzwerke zu analysieren und nach Schlagwörtern zu durchforsten. Hat man Themen identifiziert, werden die an RedakteurInnen weitergeleitet, die daraus Storys stricken. Sowieso zieht man demnächst noch viel mehr aus Facebook, Twitter, Instagram und Co. Es gibt bereits Medien, die ihre Homepage abgeschafft haben, sie sind „homeless“. Wozu noch eine Anlaufstelle haben? Die News sollen dorthin, wo auch die User sind: Wer sich den ganzen Tag bei Facebook rumtreibt, wird dort beliefert, wer viel twittert, geht eher hierüber. Alle Inhalte zugeschnitten auf den Kanal.

Crossmedia? Tot oder lebendig?

Ach ja, dieses Crossmedia ist wohl doch nicht tot, sondern wird eher immer wichtiger. Andere Medien hingegen sind tatsächlich wieder auf dem Rückzug mit der Crossmedialität. Die Überschneidung der Nutzer zwischen der Printausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und ihrer Onlineversion beträgt gerade mal 10 Prozent. Verweise zwischen den beiden Medien, die im Grunde entkoppelt sind, gibt es kaum. Wie also soll man es richtig machen?

Ein Patentrezept, wie man mit dem viel beschworenen digitalen Wandel umgehen soll, hat bislang kein Medium. Alle probieren, manche mit größerem Erfolg, manche mit weniger großem. Trial and error. Weiter geht’s.

Wer mehr zur Veranstaltung wissen will, ist beim Blog vom HR richtig.