Es ist das absolut beherrschende Thema in den britischen Medien: Sollen die Briten die Europäische Union verlassen oder entscheiden sie sich am 23. Juni dafür, weiterhin Teil von Europa zu sein?
Die Fronten sind verhärtet: Anhänger der Leave oder Remain-Kampagne haben sich in den jüngst ausgetragenen Fernsehduellen beschimpft. Die Zeitungen sind voll mit Meinungsbeiträgen, Fernsehteams rücken aufs Land aus, um zu erfahren, was die Briten wirklich denken. Die Bürger der Insel stehen vor einer historischen Wahl, die nicht nur ihr Leben, sondern auch das des europäischen Festlandes oder sogar der Welt verändern könnte.
Die wichtigsten Themen, um die die Briten streiten, sind Wirtschaft, Immigration und Sicherheit. Die Pro-Europäer behaupten, dass Großbritannien seine Sicherheit nur gewährleisten kann, wenn es Teil der EU bleibt: „Intelligence-sharing systems within the EU are vital to keeping this country safe“, behaupteten Premierminister David Cameron und Home Secretary Theresa May laut der Tageszeitung „The Daily Telegraph“.
Ohne die EU sei Großbritannien bei der Terrorbekämpfung besser dran
Die Anhänger der Leave-Kampagne widerum behaupten, dass Großbritannien Terror besser bekämpfen kann, wenn es aus der EU austritt. Die Europäische Union sei eher „driven by those who see institutions appropriating power, rather than people doing the job in hand“, schreibt Security Minister John Hayes in einem Gastbeitrag im „The Daily Telegraph“. Und weiter: Die EU sei „too rigid to deal with the pan-national terrorist threat.“
Niemand weiß, was passieren wird, wenn Großbritannien aus der EU austritt – und welche Auswirkungen das auf die Wirtschaft hat. Die Ratingsagentur Standard & Poor’s kündigte an, das Land herunterstufen zu wollen, sollte es für den Austritt stimmen. „There is no clear Plan B in the UK and we are not going to wait until we find out what the British position actually is“, zitiert die Tageszeitung Moritz Kraemer von der Ratingagentur. Aktuell besitzt das Königreich die Bestbewertung: AAA. Doch auch die EU könnte schlechter bewertet werden, schließlich verliert sie eines der best zahlenden Mitglieder, warnt Standard & Poor’s.
Noch hängen sie einträchtig nebeneinander: Die Flagge der Europäischen Union neben der britischen. Dazwischen die schottische, denn das Bild wurde vor dem schottischen Parlament in Edinburgh aufgenommen.
Sowieso: Das liebe Geld. Seit Margaret Thatcher den „Briten-Rabatt“ ausgehandelt hat („I want my money back“), ist Großbritannien nicht wohl bei dem Gedanken, so viel Geld an die EU zu überweisen. Das nutzen die Anhänger der Leave-Kampagne weidlich aus. In TV-Werbespots erklären sie, dass Großbritannien pro Woche 350 Millionen Pfundan die EU überweist – und sie fordern, dass Geld lieber in neue Krankenhäuser und generell in die Gesundheitsversorgung zu stecken. „Take back control“, ist ihr Slogan. „That is cold hard cash that belongs to the people of this country that is sent back every year, every week, to Brussels“, schürt Londons Ex-Bürgermeister und prominentestes Gesicht der Leave-Kampagne, Boris Johnson, das Feuer. Er war sich in einer der jüngsten Fernsehdebatten sicher, dass „Britain would propser as never before“, sollte es die EU verlassen. Johnsons Gegner werfen ihm vor, den Brexit nur für seine eigene Karriere nutzen zu wollen und auf den Posten des Premier Ministers zu schielen.
Nein-Sager wählen eher mit „passion“
Und die Bürger? Viele sind verunsichert und wissen nicht genau, welchen Zahlen und Szenarien sie Glauben schenken sollen. Andere wiederum haben sich ihre Meinung schon längst gebildet. Eine Zufallsbegegnung im Cafe in den schottischen West Highlands, bei Tee und Scones kommt man ins Gespräch. Ein junger Angestellter im öffentlichen Dienst aus London ist zurzeit auf Dienstreise und nutzt einen halben freien Tag, um ein wenig Sightseeing zu betreiben. Bislang dachte er, dass seine Landsleute letztlich doch für einen Verbleib in der EU stimmen werden, erzählt er. Doch mittlerweile sei er sich da nicht sicher. Die Brexit-Befürworter würden einen intensiven Wahlkampf führen, die Nein-Sager würden „with passion“ wählen gehen. Im Gegensatz dazu die EU-Befürworter, sie führen einen Wahlkampf, der nur auf die negativen Konsequenzen eines Austritts gerichtet ist, statt die positiven Seiten der EU hervorzuheben, bemängelt der Londoner. Es scheint, als würden die Brexit-Befürworter ihre Wähler eher mobilisieren und emotional ansprechen können. Er wird auf jeden Fall für „Remain“ wählen, sagt er.
Grundsätzlich sind die Schotten eher pro-europäisch eingestellt. Sie haben sich ja vor zwei Jahren in einem eigenen Referendum für ihren Verbleib im Vereinigten Königreich entschieden – und somit auch für den Verbleib in der Europäischen Union. In Umfragen bestätigt sich der Trend: 51 Prozent der Schotten haben sich laut einer Umfrage der internationalen Agentur TNS für den Verbleib in der EU ausgesprochen, nur 21 Prozent waren dagegen. Wenn Großbritannien tatsächlich austreten würde, wäre das auf jeden Fall eins: Eine historische Zäsur in der Geschichte der Europäischen Union, die zu Konsequenzen und Umwälzungen führen würde, die wir heute noch gar nicht absehen können.
Der Energiewende hatte Kanzlerin Angela Merkel nach dem Atomreaktor-Unglück in Fukushima 2011 höchste Priorität eingeräumt. Ausstieg aus der Atomkraft, mehr erneuerbare Energien – so war der Plan. Doch tut man der Energiewende einen Gefallen mit der neuen Reform?
Vergangenes Jahr war jede dritte Stunde Strom (31 Prozent) durch Wind, Sonne oder Biomasse erzeugt. 2014 waren es 26 Prozent, es wird also immer mehr. Gut so. Nur dass der Preis pro Stunde immer mehr ansteigt, seit 2000 kontinuierlich. Mittlerweile hat er sich im Schnitt verdoppelt, von knapp 13 Cent pro Kilowattstunde auf gut 26.
Seit dem Jahr also steigt der Strompreis, in dem das Erneuerbare-Energien-Gesetz beschlossen wurde. Das sollte den Ausbau von regenerativen Energien fördern – was es auch getan hat. Nun soll der Preis für Ökostrom durch den Markt geregelt werden. Ziel: Den Anstieg der EEG-Umlage und somit den Anstieg des Strompreises zu drosseln. Vorab wird demnächst ein gewisses Kontingent an Stommenge festgelegt. Wer neue Anlagen ans Netz bringen will, muss sie ausschreiben und erhält dann nicht mehr automatisch eine gesetzlich festgelegte Förderung. Sondern nur derjenige erhält den Zuschlag und somit die Förderung, der das niedrigste Gebot abgibt. So soll der Strom durch mehr Wettbewerb günstiger werden, das ist die Hoffnung der großen Koalition. Nur noch für kleinere Anlage in Privathänden soll es eine feste Förderzusage geben.
Ist mehr Wettbewerb immer automatisch gut?
Doch ob die Regierung der Energiewende damit einen Gefallen getan hat, bleibt abzuwarten. Wenn „der Markt“ alles regeln soll, fällt immer irgendwer hinten über. Hier fürchten kleinere Anlagen, beispielsweise in Hand von Bürgergenossenschaften, negative Konsequenzen. Kürzlich hatte ich mich mit einem Bürger-Windparkbetreiber aus der Eifel unterhalten. Er befürchtet, dass seine Anlagen demnächst nicht mehr rentabel sein können. Wer will sich dann daran beteiligen? Und um an Ausschreibungen teilzunehmen, müsse man Sicherheiten im sechsstelligen Bereich hinterlegen, sagt er. Wo sollen die herkommen? Dem Ausbau der Windkraft & Co. wird das nicht förderlich sein. Und war nicht genau das das Ziel? Greenpeace kritisiert die Reform: „Eine der bislang zentralen Erfolgsfaktoren für die Energiewende und ihre Akzeptanz in der Bevölkerung war das große Engagement der Bürgerinnen und Bürger“, schreibt die Organisation auf ihrer Webseite. „Die wird durch die Novellierung des EEG aufs Spiel gesetzt.“
Strom in Deutschland noch lange kein Luxusgut
Und überhaupt ist es jammern auf hohem Niveau. 26 Cent pro Kilowattstunde Strom ist keine gigantische Summe, die die Menschen in den Ruin treibt. Ich persönlich zahle knapp 20 Euro im Monat für Strom: Ökostrom! Und bei mir steckt unentwegt irgendein Gerät, sei es Tablet, Smartphone oder Kamera am Ladegerät. Und auch ich besitze ganz normal einen Kühlschrank, okay, dafür keinen Fernseher.
Von nichts kommt nunmal nichts, und von der Energiewende werden wir alle etwas haben, daher habe ich nichts dagegen, einen EEG-Aufschlag auf meinen Strom zu zahlen – wenn er zu einem Mehr an erneuerbaren Energien führt. Und das tut er doch. Ein Gesetz zu reformieren und an veränderte Entwicklungen anzupassen, ist per se ersteinmal etwas Gutes. Doch ich bleibe skeptisch, ob sich das Überstülpen von Marktmechanismen auf die Erneuerbare-Energien-Förderung positiv auswirkt, oder ob es den Ausbau nicht eher hemmen wird – oder nur den großen Konzernen mit riesigen Anlagen in die Hände spielt.
Es war Zeit für eine neue Kamera. Bislang bin immer mit einer Nikon unterwegs gewesen. Die hat aber als Kameraseniorin immer mehr Macken gezeigt und so stellt sich die Frage: Mal einschicken und gegebenenfalls reparieren lassen oder direkt eine neue Kamera kaufen?
Ich entschied mich für letzteres: Es wurde eine Canon 100D, die kleine Schwester der 700D. Mit allen Features und Funktionen, nur viel leichter und kompakter (knapp 400 Gramm). Lediglich das ausklappbare Display fehlt, aber das kann ich verschmerzen. Alles andere ist da: Touch-Display, man kann damit filmen (allerdings ist der Fokus etwas langsam), alles in allem gewohnt gute Canon-Qualität. Das Experiment: Eine Festbrennweite. Die hat den Vorteil, dass die Blende weit aufgemacht werden kann und somit viel Licht durch die Linse fällt. So kann man auch bei schlechten Lichtverhältnissen noch viel rausholen, ohne sich dumm und dämlich zahlen zu müssen. Im Gegensatz zu lichtstarken Zoomobjektiven, die sehr viel kosten, da wird man ja arm von.
Weiterer Vorteil der großen Blende: Das Objekt kann man schön „freistellen“, wie es im Fotografensprech heißt. Also den Hintergrund unscharf werden lassen. Diese Effekt war mir besonders wichtig. So kommt noch jedes unscheinbare Blatt zur Geltung und die Fotos machen immer etwas her.
Ja, klar, der Nachteil der Festbrennweite ist, dass man sich festlegt. Ich habe mich für ein 24mm-Objektiv entschieden, also ein leichtes Weitwinkel. Zählt aber (wenn man die Brennweite mit dem Cropfaktor in Vollformat umrechnet) mit 38mm zu den Reportagebrennweiten. Porträts sind also ungünstig, aber Landschaften und Street-Szenen lassen sich damit gut einfangen. Und dennoch ist das Weitwinkel noch nicht so groß, dass es an den Rändern verzerrt. Nach den ersten Tests bin sowohl mit Kamera wie auch Festbrennweite zufrieden.
Die Festbrennweite ist lichtstark und mit der Blende 2,8 kann man den Hintergrund schön unscharf werden lassen. Allerdings darf man nicht zu nah an das Objekt herangehen (ist ja schließlich kein Makro), sonst wird alles unscharf. Autofokus funktioniert einwandfrei, doch der manuelle Fokus ist laut! Das Objektiv gab es zu dem Preis nur mit STM (Stepping Motor Technologie), also Schrittmotor, statt mit einem USM (Ultraschallmotor). Als ich mir Testberichte durchgelesen habe, und es hieß der Motor hört sich an wie ein verendendes Tier, wollte ich das nicht glauben und habe es als Scherz abgetan. Doch genauso klingt es. Es röhrt und jault….aber es funktioniert einwandfrei, und das ist schließlich die Hauptsache.
Positiv auffallen werden einem auch die Maße des Objektivs: Es heißt nicht umsonst „Pancake“. Ungefähr 150 Gramm leicht, knapp 6 Zentimeter Durchmesser und knapp über 2 Zentimeter Breite. Nicht schlecht im Vergleich zu anderen Monsterobjektiven, für die man einen Extra-Träger engagieren muss, der die riesigen und schweren Teile schleppt. Also ideal für den Urlaub, das Pancake-Objektiv. Und kombiniert mit der kleineren und leichten Canon 100D sowieso.
Zuerst eine Warnung an alle LeserInnen: Dieser Artikel enthält nur Text und ein Bild. Kein Video, kein Storify, kein embeddedes Snapchat. Und er ist auch einen Tag zu spät, ganze 24 Stunden – Äonen in der digitalen Welt.
Aber das hält mich nicht davon ab, einfach zu rekapitulieren, was ich gestern vom Frankfurter Tag des Online Journalismus mitgenommen habe. Einfach so heruntergeschrieben, für mich. Ganz analog.
Die Veranstaltung war sehr spannend und hat eins gezeigt: Linear ist tot. Statisch ist tot. Trolle sind (endlich) tot. Alle waren sich einig: Lineare mediale Angebote, wie es sie bislang gab, beispielsweise im Fernsehen, wird es in naher Zukunft nicht mehr geben. Alles ist im Flow, ist in kleine Stücke zerlegt, die sich der User je nach Bedarf und Lust heranholt und „konsumiert“. Kleine, kurze Videos, die Aufmerksamkeitsspanne der Nutzer ist nicht groß.
Alle (mittlerweile nicht mehr ganz so) neuen Tools wie Snapchat und Youtube bedienen genau diese Häppchenmentalität. Doch man darf nicht den Fehler machen, daraus abzuleiten, dass alles seichte Unterhaltung sein muss. Für die jungen Leute, die eh keine Ahnung haben?! Höchste journalistische Qualität ist dennoch gefragt, auch die ach so Jungen sind nicht blöd, sie wollen auch Infos – nur anders aufbereitet als früher.
Nichts ist wichtiger als die Community
Und sie wollen sich als Teil einer Community fühlen. Das ist der große Erfolg von den bekannten Youtubern von LeFloid und wie sie alle heißen, aber auch von den Social Media Kanälen der großen Marken. „Die Welt“ ist ein Beispiel, wie man mit Geduld und Humor nervige Trolle von den Seiten vertreiben kann und eine Community entstehen lassen kann. Die wächst, wird gehegt und gepflegt. Das trägt zur Markenbindung bei und schlägt sich (hoffentlich, denn das darf man ja nicht außer Acht lassen) zur „Monetarisierung“ bei (was für ein herrliches Wort….).
Konkret wollte Niddal Salah-Eldin, Chefin des Social Media Teams der Welt, nicht darauf eingehen, aber diese Vorsicht kann man verzeihen. Die Zuwächse an Fanzahlen und Zugriffsraten machen auf jeden Fall neidisch. Diese „Kenne-deine-Community-und-binde-sie-an-dich“-Strategie sieht man auch bei Edition F. Der Frauenblog schaut genau hin: Was wollen meine Userinnen lesen, was bewegt sie? Da wird ganz gezielt darauf hingearbeitet: Mit enormem Erfolg.
Das Ohr ganz nah „bei de Leut“
Auch bei den „klassischen“ Tageszeitungen wird das Social Web immer wichtiger. Es wird immer wichtiger für RedakteurInnen, ihr Ohr ganz nah an der Community zu haben. Um sich nichts entgehen zu lassen, entwickelt die Rheinische Post aus Düsseldorf derzeit ein „Listening Center“, ein Tool, um die sozialen Netzwerke zu analysieren und nach Schlagwörtern zu durchforsten. Hat man Themen identifiziert, werden die an RedakteurInnen weitergeleitet, die daraus Storys stricken. Sowieso zieht man demnächst noch viel mehr aus Facebook, Twitter, Instagram und Co. Es gibt bereits Medien, die ihre Homepage abgeschafft haben, sie sind „homeless“. Wozu noch eine Anlaufstelle haben? Die News sollen dorthin, wo auch die User sind: Wer sich den ganzen Tag bei Facebook rumtreibt, wird dort beliefert, wer viel twittert, geht eher hierüber. Alle Inhalte zugeschnitten auf den Kanal.
Crossmedia? Tot oder lebendig?
Ach ja, dieses Crossmedia ist wohl doch nicht tot, sondern wird eher immer wichtiger. Andere Medien hingegen sind tatsächlich wieder auf dem Rückzug mit der Crossmedialität. Die Überschneidung der Nutzer zwischen der Printausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und ihrer Onlineversion beträgt gerade mal 10 Prozent. Verweise zwischen den beiden Medien, die im Grunde entkoppelt sind, gibt es kaum. Wie also soll man es richtig machen?
Ein Patentrezept, wie man mit dem viel beschworenen digitalen Wandel umgehen soll, hat bislang kein Medium. Alle probieren, manche mit größerem Erfolg, manche mit weniger großem. Trial and error. Weiter geht’s.
Wer mehr zur Veranstaltung wissen will, ist beim Blog vom HR richtig.
Heißes Wasser in einen Becher gießen, Beutel rein – Fertig ist der Tee? Ist nicht! Wer japanische Spitzentees zubereitet, braucht Zeit und das richtige Equipment.
Kyusus werden die japanischen Teekannen genannt.
Abgesehen von dem Grundprodukt, den Teeblättern, benötigt man als Grünteeliebhaber erstens ein ganzes Arsenal an Utensilien wie Teekannen und -schalen, zweitens das richtige Wasser und drittens muss man wissen, wie man erstens und zweitens perfekt kombiniert. Eine Wissenschaft für sich, die ich bei einer Teeschulung in Frankfurt lernen will: Wie bereitet man den perfekten Tee zu?
1. Die Teeblätter
Wer ein gutes Produkt genießen möchte, wird unweigerlich zu losem Tee greifen. Ja, es gebe auch qualitativ sehr guten Tee im Beutel, erklärt Tee-Experte Christof Heinickel vom Frankfurter Teehaus Schnorr, aber dafür muss man ordentlich tief in die Tasche greifen. Das, was im Supermarkt gemeinhin als Beuteltee verkauft wird, sind geschnibbelte Stängel und andere mindere Bestandteile. Daher: Immer zu losem Tee greifen. Wer auf japanische Grüntees steht, nimmt beispielsweise entweder einen etwas herberen Bancha (zusätzlich zu den oberen Blätter werden die größeren, fleischigen Blätter mitgeerntet) oder einen frischen Sencha (wobei die Bezeichnung „Sencha“ eigentlich der Oberbegriff für alle bedampften Grüntees ist).
Wer es edler mag, greift zu Gyokuro oder anderen beschatteten Tees (Kabusecha). Hier wird wenige Tage oder Wochen vor der Ernte der Teestrauch mit Netzen bedeckt. Dadurch erhält die Pflanze weniger Licht. Normalerweise würde die Tepflanze unter Lichteinwirkung Katechine bilden, um sich so vor zu viel Sonneneinstrahlung zu schützen – quasi das Äquivalent zum Bräunen der Haut bei Menschen. Katechine sind die Stoffe, die dafür sorgen, dass grüner Tee bitter schmeckt. Dadurch, dass sie nun weniger Sonne abbekommt, wird dieser Prozess gestoppt, die Pflanze fängt an, die Katechine vermehrt in Aminosäuren umzuwandeln. Die sorgen für den vollen Geschmack des Umami: Der Aufguss schmeckt gehaltvoll, weniger bitter, dafür fast schon süß – und ein wenig nach Fisch, nach Gemüse. Umami eben.
Los geht es mit der Schulung. Für den Gaumen eine Herausforderung, so viele Aromen hintereinander zu schmecken, zu analysieren und zu bewerten.
2. Das Wasser
Bloß das Wasser abkochen, mahnt Tee-Experte Heinickel. Wichtig ist, dass alles Kalk aus dem Wasser ausflockt und so den Geschmack des Tees nicht verderben kann. Man kann das abgekochte Leitungswasser abkühlen lassen oder mit stillem Wasser aus Flaschen mischen und so für die richtige Temperatur sorgen, schlägt Heinickel vor. Da sich mir noch nie das Kaufen von Wasser in Flaschen erschlossen hat (bei der guten Qualität unsere Leitungswassers in Deutschland), werde ich in Zukunft beim abgekochten Leitungswasser bleiben.
3. Die Kannen
Tee braucht Platz, um sich zu entfalten. Die Blätter entrollen sich und geben so ihr Aroma frei. Das können sie am besten in Kannen tun, in denen sie lose eingefüllt wurden. Zu enge Siebe und Tee-Eier verhindern, dass sich der Tee entfalten und so sein Aroma komplett ans Wasser abgeben kann. Wichtig: Japanische Teekannen (Kyusu) niemals mit Spülmittel ausspülen, warnt Christof Heinickel vom Frankfurter Teehaus Schnorr, da der Spülmittelgeschmack das Aroma ruiniert.
4. Die Temperatur
Je heißer das Wasser, desto mehr Bitterstoffe werden gelöst. Mit sprudelnd kochendem Wasser gießt man lediglich Matcha (gemahlener grüner Tee) auf, denn nur bei so hohen Temperaturen löst sich das feine Pulver komplett auf. Bei Grüntee nimmt man meist 60 bis 80 Grad. Will man mehr von dem Umami aus dem Tee herauslocken, so gießt man ihn mit niedrigeren Temperaturen auf (40 bis 60 Grad). Es gibt auch eine Variante, bei der man den japanischen Tee mit kaltem Wasser aufgießt (Mizudashi): Perfekt für den Sommer.
5. Die Ziehzeit
Japanische Grüntees kann man mehrmals aufgießen (zwei bis viermal). Die Aufgussmenge hängt dabei von der jeweiligen Ziehzeit ab. Geschätzt gibt ein japanischer Tee sein komplettes Aromas nach anderthalb Minuten ab, erklärt Teekenner Christof Heinickel während der Schulung. Diese Zeit kann man auf die verschiedenen Aufgüsse verteilen. Den ersten Aufguss sollte man allerdings entgegen hartnäckiger Gerüchte nie wegschütten. Das Wegschütten ist Teil des japanischen Teerituals und soll dem Gast zeigen, dass man seine Schale extra für ihn besonders säubert. Doch üblicherweise steckt im ersten Aufguss das intensivste Aroma, also unbedingt genießen!
Das erste, was einem auffällt, ist der Geruch. Fruchtig und herb zieht einem der Duft der feuchten Blätter in die Nase, kaum hat man die Fabrik des Demodera Tea Estate im Herzen des Berglandes von Sri Lanka betreten. In einer Halle werden Kiloweise Blätter des Teestrauchs, Camellia sinensis, ausgebreitet und getrocknet. Willkommen in der Welt des Tees!
In den Teefabriken probieren und beurteilen die Tea-Tester die verschiedenen Chargen.
Die tropische Insel ist der größte Tee-Exporteur der Welt. Die Bezeichnung Ceylon kennt man in aller Welt. Von grün, rostrot über orange bis hin zu einem dunklen Braun: Die Tassenfarbe schwankt, getrunken wird der Tee entweder pur, aromatisiert oder mit Milch. Die Engländer sind es schuld, dass Sri Lankas Tee seinen Weg in alle Welt gefunden hat. 1840 hatte die Est India Company die Teepflanze versuchsweise im nordindischen Assam angebaut. Im selben Jahr noch experimentierten sie mit 200 Pflanzen auf Sri Lanka. Siehe da, dem Strauch gefiel das feucht-warme Klima des singhalesischen Hochlands und er wuchs und wuchs. Will man den Tee dort sehen, wo er angebaut wird, muss man weg von der Küste und den Touristenorten, hinein in die Bergebene um Nuwara Eliya und Ella.
Teepflücken ist immer noch Handarbeit – und eine ziemlich mühselige noch dazu.
Im feuchten Hochland fühlt sich Camellia sinensis zu Hause
Zugfahren in Sri Lanka ist abenteuerlich. Die ganze Zeit ruckelte und trötet es, Menschen laufen zwischendurch auf den Gleisen, immer wieder hält der Zug (der sicher auch schon einige Jahr auf dem Buckel hat) mit Vollbremsung an. Wir sind in Nuwara Eliya, dem Dreh- und Angelpunkt der Teeanbauregion. Schaut man aus dem Fenster, sieht man: nichts. Eine feuchte neblige Suppe hängt über den Bergen, Schwaden steigen auf, Regentropfen kriechen über die Glasscheibe. So hatten wir uns das nicht vorgestellt. Aber guter Tee braucht genau das: Viel Feuchtigkeit und Regen. Und genau den bekommt er im Hochland. Doch auch der Nebel kann sich nicht ewig halten, irgendwann reißt die graue Wand auf – und offenbart atemberaubende Blicke auf grüne Hänge und tiefe Täler. Die Teesträucher bedecken die steilen Hänge der Bergregion wie einen Teppich. Teepflückerinnen leuchten als bunte Punkte inmitten all des Grüns auf. Ihre Arbeit ist der erste Schritt für das Teeblatt auf dem Weg in die Tasse.
Antikes Gerät noch im Einsatz
In der Demodera Tea Fabrik schaufeln die Arbeiter die Teeblätter in die Säcke, überall liegen Fetzen von abgerissenen Blatteilen herum. Wir steigen die Holzdielen herauf und befinden uns in einem Raum mit Maschinen: Sie rattern, drehen sich – und zerreiben die frischen Teeblätter. So wird die Fermentation in Gang gesetzt. Was nichts anderes heißt als Oxidation: Luft gelangt an den Saft, der aus den Blättern austritt, und reagiert mit ihm. Die Blätter fermentieren und erhalten ihre charakteristische Farbe und ihren Geschmack. Würde man die Blätter als Ganzes trocknen und dämpfen, käme grüner Tee heraus. Die Maschinen sind fast schon antik – man findet Exemplare von 1950, 1978 oder 1992. Es gibt wahrlich modernere Teefabriken auf Sri Lanka. Nachdem sie eine halbe Stunde zerrieben wurden, werden die Blätter nach Größe sortiert und getrocknet. Mit Werkzeug werden die trockenen Haufen auf Bänder geschaufelt und in einem Backofen getrocknet.
Hänge voller Teesträucher: Sri Lanka gilt als größter Tee-Exporteur der Welt.
Sammelsurium an Qualitätsbezeichnungen
Die Arbeiter wuseln zwischen den Fässern, in denen der Tee aufbewahrt wird herum – barfuß. Arbeitsschutz scheint auf Sri Lanka häufig noch ein Fremdwort zu sein. Immer mal wieder kehrt einer zusammen, was auf den Boden gefallen ist. Masken haben die Arbeiter an – um nicht zu viel des feinen Staubs, der bei der Produktion entsteht, einzuatmen. Die Bezeichnungen des Tees klingen wie Kauderwelsch. Broken Orange Pekoe, Fannings oder Dust, Tippy oder Flowery. Viele (teils veraltete) Begriffe prägen den Teemarkt und bezeichnen die verschiedenen Qualitätsstufen. Ob lange Blätter, kleine Blätter mit Knospen oder der kräftige Teestaub – für jeden Geschmack und für jeden Geldbeutel wird produziert.
Von den Fässern wird der Tee in Säcke geladen. Nun wartet er auf seinen Transport nach Colombo, von wo aus er seine Reise in die Welt antreten wird. Also dann: Zurücklehnen und die Tasse Ceylon-Tee genießen.
Der Teestrauch ist seit 1840 auf der Insel im indischen Ozean heimisch – und hat sich seitdem gut ausgebreitet.
Aserbaidschan wird auch Land des Feuers genannt. Hell lodert es an der Grenze zwischen Orient und Okzident, wo moderner Kitsch und traditionelle Kultur aufeinandertreffen. Ich bin eine Woche durch ein Land gereist, das nicht mehr Europa, aber auch noch nicht Asien ist.
Zimt, Kardamom und Koriander: Auf dem Yasil Basar, dem Grünen Basar in Baku hat man die freie Wahl.
Viam und Julia stehen neben den anderen Tänzern auf der Bühne, schweißnass glänzt ihre Haut im Rampenlicht, Julias Lippenstift ist nicht mehr taufrisch. Showbusiness ist harte Arbeit. Lächelnd posen sie für Kameras, dann verschwinden sie hinter der Bühne. Eventmanager Suat sitzt hinten im Publikum. Er hat die ganze Show mitverfolgt, jetzt lehnt er sich zufrieden zurück.
Aserbaidschan ist ein ungewöhnliches Urlaubsziel, die Leute staunen, wenn man sagt, dass man nächste Woche nach Baku fliegt. Obwohl das Land des Feuers, das den Namen von den vielen brennenden Erdgasquellen erhalten hat, immer näher an Europe heranrückt: Der Eurovision Song Contest machte 2012 die Schwedin Loreen berühmt, auch Lena Meyer-Landrut trat bei dem Spektakel auf, die ersten Olympischen Europaspiele katapultierten Baku in die europäischen Nachrichten. Und dennoch ist Aserbaidschan nicht Europa, es ist ein Mix aus Orient und Okzident. Moderne Luxusresorts und pulsierendes Großstadtfeeling wechselt sich ab mit einsamen Naturerlebnissen und mystischen Begegnungen.
Wir sind in der Region Quba, im Norden Aserbaidschans. Hügel reihen sich aneinander, das Handynetz verlässt uns. Einöde. Und auf einmal: Ein Zaun, ein Empfang, es geht vorbei an tagellos gepflegten Golfplätzen, die jeden Briten neidisch gemacht hätten, schlussendlich erhebt sich ein Ungetüm aus den Bergen. Das Rixon Quba, eins von zwei 5-Sterne-Luxushotels der türkischen Kette in Aserbaidschan. Man wird erschlagen vom stoffbezogenen Sofas, roten Teppichen und schweren Kronlüstern, die unter der Decke hängen. Schick à la orientale, kitschig, schwülstig, genauso wie man es so häufig im Osten liebt.
Protzig, kitschig: Wer im Hotel Rixos in Quba übernachtet, muss auf Plüschsessel und Kronleuchter stehen.
Aserbaidschan ist stolz auf seine Luxusresorts: Man möchte westliche Kundschaft anlocken, gerne kaufkräftige. Dass man wanderbegeisterte deutsche Touristen eher mit einsamen Bergdörfern im Kaukasus und Sternenhimmel in den Bergen anlocken kann als mit Kitsch und protziger Architektur, scheint den Stadtplanern nicht in den Sinn gekommen zu sein. Man fängt erst gerade an, sich um westliche Touristen zu bemühen.
Die zögern vielleicht auch, weil sie sich fragen, ob man mit einem Besuch nicht das autoriäre Regime unterstützt: Ilham Aliyev, Sohn und Nachfolger vom großen Heydar Aliyev, der 1993 an die Macht kam und den die Aserbaidschaner als „Architekten des Landes“ verehren, lässt in seinem Staat jegliche kritische Meinungsäußerung und unabhängigen Journalismus unterdrücken. Aserbaidschan rangiert zurzeit auf der Liste von Reportern ohne Grenzen auf Platz 162 von 180, Tendenz fallend.
Religionen leben friedlich nebeneinander
Doch so sehr das Land unter der Herrschaft von Ilham Aliyev Journalisten einen Maulkorb verpasst und sie verfolgt, so tolerant geht es mit religiösen Minderheiten um. Zu 95 Prozent ist das Land muslimisch geprägt. Doch man kann auch christliche und jüdische Gemeinden besuchen. Die bekannteste – und auch einzige – jüdische Siedlung ist die „Rote Siedlung“, Krasnaja Sloboda. Hier leben knapp 3000 Bergjuden friedlich neben muslimischen Nachbarn. Ein weiteres bekanntes Gotteshaus ist die schiitische Moschee in Quba. Das Besondere: Früher war sie mal eine christliche Kirche.
Prachtvolle Moscheen kann man in Aserbaidschan entdecken. Rund 95 Prozent der Einwohner sind Muslime.
Unterwegs Richtung Gebirge: Quba wird auch „Tor zu den Bergen“ genannt. Fährt man durch den 24.000-Einwohner-Ort, stellt man schnell fest warum: In der Ferne ragen die hohen Gipfel des Kaukasus empor, als wollten sie die Kleinstadt, die aber immerhin eine Universität beherbergt, umarmen. Die Straßen sind ärmlich, einige Häuser verfallen – Baku mit seiner modernen Skyline ist weit weg. In Quba gibt es vier Synogagen und drei Moscheen. Die schiitische Moschee war früher zu zaristischen Zeiten eine Kirche, nun ist sie ein muslimisches Gotteshaus. Wann genau das Haus den Patron gewechselt hat, weiß man hier nicht. Vielleicht zu Zarenzeiten, ist eine Vermutung.
Wer eintreten möchte, muss seine Schuhe ausziehen. Männer haben keinen Zutritt, ein Mädchen nimmt gerade Koranunterricht. Ihr grasgrünes Tuch hat sie um ihren Kopf geschlungen, etwas unruhig und aufgeregt wegen der Besucher rutscht sie auf dem Boden herum und bohrt ihre Socken in den weichen Teppich. Bunte, reich verzierte Kissen stapeln sich an den Wänden, Bücher mit vergoldetem Einband stehen im Regal. Vor sich hat die Schülerin auf einem Holzpult einen Koran, aus dem sie ihren beiden Lehrerinnen vorliest. Man merkt, dass sie lieber hinübergeschaut hätte, doch die Lehrerinnen lassen das nicht zu. Rund 30 Mädchen werden zurzeit in der Koranschule unterrichtet, erzählen die Moscheediener. Selbst sie dürfen nicht eintreten und warten draußen. Selbstverständlich findet der Unterricht getrennt von den Jungen statt – auch wenn prinzipiell beide Geschlechter das gleiche lernen. Knapp ein Jahr dauert die Koranausbildung. Da sind die Muslime streng.
Auch das ist Aserbaidschan: Einsame Berggegenden im Kaukasus, wo die Menschen noch von Viehzucht leben.
Zurück im Resort. Unser Begleitung beim Abendessen heißt Suat, 34 Jahre alt. Er ist der Eventmanager des Hotels. Suat kommt aus Antalya in der Türkei, seit fünf Monaten lebt er in der aserbaidschanischen Provinz. Quirlig wie ein Stehaufmännchen bei nur knapp 1,65 Meter Größe, wuselt er herum. „Man nennt mich auch den kleinen Türken“, meint er lachend. Er ist sich für nichts zu schade, begleitet seine Gäste den ganzen Abend, der geborene Entertainer. Besonders stolz ist er auf seine Show. Schon während des ganzen Abendessens erzählt er von nichts anderem als von den Tanzeinlagen seiner „ukrainischen Mädels“. Die Reisegruppe reagiert verhalten bis belustigt. Ukrainische Mädels? Das weckt Assoziationen.
Backgammon, einige nennen es auch Spiel der Könige, fasziniert immer noch die Menschen. In Teestuben wetteifern ältere Herrschaften um den Sieg und vertreiben sich die Zeit.
Doch Journalisten sind ja von Natur aus neugierige Menschen: Um elf Uhr sitzt man im Eventraum, und Suat hat nicht zu viel versprochen: Fast eine Stunde lang gibt eine Gruppe junger Frauen und Männer alles: Von Cancan-Hiphopmischungen und Walzertänzen, die von Schnulzen begleitet werden. Suat rast mit seinem Programm, das er selber zusammengestellt hat, mal eben quer durch die Musikgeschichte. Seine jüngste Entdeckung: Viam, braune Haare, hager, er wird uns heute Abend den Frank Sinatra machen. In weißem Anzug und schwarzem Glitzerhemd mit Sonnenbrille singt sich Viam die Seele aus dem Leib: New York New Yoooooork. Nicht nur für den ukrainischen Sänger ist der Tag lang, auch bei Suat hinterlässt der anstrengende Arbeitstag Spuren. Das fröhliche Gesicht für die Touristen, der sorgenvolle, konzentrierte Blick, wenn er etwas organisiert. Schnell checkt er SMS und Mails, schaut sich kritisch die Performance an, man ahnt, dass er ein anspruchsvoller Chef ist. Währenddessen tanzen, hüpfen und hopsen die Frauen in schwarzen Paillettenkleidern und Federn oder im Schulmädchenoutfit über die Bühne. Einige hoffnungsvolle Talente sind dabei, manche Möchtegern-Stars, im Großen und Ganzen eher 2B-Tänzer als die Crème de la Crème. Aber würde man sonst in der aserbaidschanischen Pampa Hotelgäste aus Russland unterhalten statt auf den Brettern zu stehen, die die Welt bedeuten – in Theatern oder Opernhäusern?
Julia, eine der Tänzerinnen, werden wir auch nachher auf der Tanzfläche treffen. Entspannt lässt die Ukrainerin den Abend ausklingen. Seit drei Monaten ist sie hier. Tagsüber arbeitet sie als Animateurin im Spabereich, abends steht sie auf der Tanzfläche. Die anderen Mitglieder des Ensembles kennt sie schon von Kindheitstagen an, man ist als Gruppe hierhergekommen. Wo ist für Julia der Unterschied zwischen Aserbaidschan und Ukraine? Ist Aserbaidschan das gelobte Land für arbeitssuchende ukrainische Künstler? Doch um diese Frage zu beantworten, reichen ihre Englischkenntnisse nicht. Vielleicht ist es auch das grelle Discolicht und die wummernde Technomusik, die die Kommunikation erschwert.
Baku – das Tor nach Aserbaidschan
Und wie bei jeder Weltstadt gilt auch bei Aserbaidschans Hauptstadt: Baku by night darf in keinem Reiseprogramm fehlen.
Wer nach Aserbaidschan reist, kommt an Baku nicht vorbei, dem Anfangs- und Endpunkt jeder Reise. Die Hauptstadt hat ein ganz eigenes Flair, ein Mix aus Paris, Dubai und Mailand. Eine Mischung aus moderner Metropole, durch die in der Altstadt ein Hauch von archaischer Tradition weht. Baku hat einen der längsten Boulevards der Welt: Aktuell ist er sechs Kilometer lang und soll noch wachsen. Auf dem schicken Streifen am Kaspischen Meer, der von Palmen gesäumt ist, lässt es sich flanieren wie an der Côte d‘ Azur. Es ist heiß in der Hauptstadt: Mitte September kann es durchaus noch 30 Grad und mehr werden. Die Menschen sind auf den Beinen, Geschäfte und Café sind gut gefüllt.
Wir möchten uns die Zukunft vorhersagen lassen. Unser Dolmetscher hat den Kontakt zu einer Wahrsagerin hergestellt. Wir treffen sie gegenüber des Puppenthaters. Wer eine Kristallkugel und mystischen Zauber erwartet hat, wird enttäuscht. Eine kleine, alte Frau mit brauner runzliger Haut geht auf uns zu. Ihre Gestalt endet in rosa Sandalen, schwarze Netzstrümpfe hüllen ihre klobigen Füße ein. Am Körper trägt sie ein gestreiftes Kleid, ein weißes Tuch mit glitzernden Pailletten verhüllt ihre Haare. 68 sei sie, erzählt die Frau aus Sumqayit, einer Industriestadt nördlich von Baku, sie sieht aber aus wie 90. Herzlich begrüßt sie die Menschen und drückt einem ein Küsschen auf die Backe, ein Lachen entblößt einen fast zahnlosen Mund, ein einzelner Zahn ragt aus dem Mundwinkel auf. Wir machen es uns auf einer Parkbank im Schatten bequem. Hand auflegen, Beschwörungsformeln murmeln braucht es nicht.
Der Prophet Khizi hat mich im Traum besucht und mir diese Gabe offenbart.
Die Wahrsagerin aus Sumqayit – ob sich alles so zutragen wird, wie sie es vorhersieht?
Man nimmt neben ihr Platz, und schon sprudelt es aus ihr heraus, der Dolmetscher kommt kaum hinterher. Ob man Knieprobleme habe oder Bluthochdruck? Du musst mit deinem Herzen aufpassen! Hat man keinen Freund? In nächster Umgebung gebe es da jemanden. Bereits als Kind konnte sie die Wahrheit vorhersagen, erzählt sie. Der alte Prophet Khizi hat sie im Traum besucht und ihr diese Gabe offenbart. Ihr Platz ist normalerweise unter dem Feigenbaum am Beshbarmag-Berg, dem Fünffinger-Berg, dort sagt sie den Besuchern die Zukunft voraus. Ja, man werde alle Ziele erreichen und ein neues Auto erhält man auch. Soweit ist es fast bei jedem gleich, reingefallen möchte man schon denken. Doch dann mischen sich bei den ersten ein nachdenklicher Ton unters alberne Lachen. Woher weiß sie, dass eine Reiseteilnehmerin sich von ihrem Mann hat scheiden lassen? Und dass ein anderer als Kind fast ertrunken wäre? Diejenige, die am meisten gezweifelt hatte, staunt nun: „Die hat mich ja richtig gut beschrieben“, gibt die Teilnehmerin zu. Geduldig lässt sich die Wahrsagerin fotografieren. Nein sie will kein Geld, sagt sie, nimmt dann aber die zehn Manat (umgerechnet neun Euro) pro Person doch gerne an. Sie verabschiedet sich mit den besten Wünschen und verschwindet in der Metrostation.
Die Vorstellung im Hotel in Quba ist mittlerweile beendet. Suat, der Eventmanager, ist zufrieden. Er knipst sein Showlächeln an und hüpft selber auf die Bühne. Der 34-jährige Türke lässt jeden Tänzer einzeln hervortreten, sorgt dafür, dass jeder seinen verdienten Applaus erhält. Der Saal, der anfang noch recht leer war, hatte sich im Laufe der Stunde gut gefüllt. Die Gäste johlen. „Can can can – Azerbaijan“, rufen sie. Suat hat sich diesen Spruch selbst ausgedacht, auf ihn ist er besonders stolz. „Can“ heißt auf türkisch „Seele“, also frei übersetzt: Aserbaidschan, du bist meine Seele. Eine Liebeserklärung ans Land. Die Gäste sind begeistert, Suat erleichtert. Er hat es wieder mal geschafft.
Baku: Alt und neu zugleich. Im Hintergrund die Flame Towers, Wahrzeichen des modernen Bakus, davor eine alte Moschee.
Zwei Tage lang unterwegs, durch die Weiten des rheinland-pfälzischen Maifelds, durch Sonne, Weizenfelder, an der Autobahn entlang, auf Asphalt, auf Wiese und Erde. Im Juli hab ich mal ausprobiert, was gefühlt jeder zweite nach Hape Kerkeling schon ausprobiert hat: Pilgern.
Ich habe daraus eine Reportage für die Rhein-Zeitung gemacht. Dort erzähle ich, wie ich bei der Herbergssuche verzweifele und Reinhold mich rettet. Ich erzähle wie es ist, mal mehrere Stunden lang mit keiner Menschenseele zu sprechen und was mit den Gedanken passiert, wenn man sie frei laufen lässt. Ich habe viele nette Menschen getroffen und bin an zwei Tagen 30 Kilometer gelaufen: Auf dem Schönstätter Pilgerweg von Mayen nach Koblenz. Danach hatte ich echt platte Füße, einen mega Sonnenbrand, war abgekämpft, aber zufrieden: Pilgern macht glücklich! Hier gibt’s die Bilder dazu.
Rucksack auf, es geht los!
Durchs Maifeld….Felder, Felder, Felder
Ein freundliches Kerlchen wartet in dem Dörfchen Wolken auf den Briefträger.An manchen Kreuzungen musste ich mich durch ein Sammelsurium von Schildern und Aufklebern wühlen.Hier geht’s lang: der Weg war sehr gut ausgeschildert, lediglich an einer Stelle habe ich gestockt. Aber an einer anderen bin ich total verzweifelt.Der Weg ist das Ziel…irgendwie stimmt das auch.
Man fängt an, auf Kleinigkeiten zu achten…..die Wolken!Ah! Meine erste Begegnung….mein Gegenüber war aber nicht sehr gesprächig. War mehr an Essen interessiert.Noch 5 Kilometer bis Koblenz…letzte Kräfte mobilisieren!Eine Zeitlang laufe ich auch auf dem Eifelcamino, dem Stück des Jakobswegs, der durch die Eifel führt.Und auf einmal stehe ich vor dem Eingang. Nach zwei Tagen und 30 Kilometern stolpere ich über das Eingangsschild zu den Schönstätter Marienschwestern.Ich bin da!Mein Rucksack und ich haben’s geschafft: Vor der Kapelle in Koblenz-Metternich. Juchu!
Nummer 33 war eindeutig der Beste. Oder war es Nummer 34? Bei der Weinreise durch die Pfalz, Rheinhessen und an die Nahe probieren wir über 50 Weine, da kann man schonmal was durcheinander bringen. Einer bleibt allerdings in Erinnerung: Der Pornfelder von Lukas Krauß. Mit seinem Marketingkonzept ist er Deutschlandweit bekannt geworden.
Mit Lukas Krauß auf seinem Weingut. Hier zeigt er uns, wo der nächste Jahrgang lagert.
Morgens, halb zehn, irgendwo in der Pfalz. Um zum Weingut von Lukas Krauß zu gelangen, fährt man an Gemüsefeldern vorbei, in der Ferne schlängelt sich die Weinstraße an den Hängen. Schnell ist man der unscheinbaren Einfahrt vorbeigefahren, der Busfahrer muss zurücksetzen. Lukas Krauß begrüßt die Mutigen, die bei gefühlten 35 Grad eine Weinprobe im Wingert machen möchten. Krauß, 27 Jahre, khakifarbene Cargohose, Lederkette, wartet im Hof. Sein Markenzeichen: Der Cordhut. Daher auch: Mann mit Hut. So vermarktet der Pfälzer seine Weine. 2008 war sein erster Jahrgang, der „Pornfelder“ – eine Mischung aus den Weinsorten Portugieser und Dornfelder – war geboren. Seine Marketingstrategie sorgte für Furore in der Weinwelt. Endlich mal ein junger moderner Winzer! „Sex und Rock’n’Roll“ jubelte der Stern.
Lukas Krauß muss lachen, als er an die Anfangszeit zurückdenkt: „Dilettanisch“ sei er herangegangen. Nicht an den Wein, aber beispielsweise an die Herstellung der Etiketten. Die hat er anfangs nämlich selber gemacht, inklusive Raster zeichnen und draufkleben. Mit Photoshop wäre es einfacher gewesen. Das Logo für seinen Pornfelder hat allerdings nicht er gezeichnet, sondern eine Agentur. Zwei halbnackte Frauen, die sich um eine Flasche räkeln. Das hätte man Lukas Krauß, Vater zweier kleiner Kinder, auch nicht zugetraut. Man muss sich auch fragen, ob es tatsächlich so innovativ ist, mit nur pseudomäßig verdeckten Brüsten für Lebensmittel zu werben. Ist es nämlich nicht. Ein Aufreger für jede Frau, die zur Abwechslung mit Kompetenz und Intelligenz überzeugen möchte.
Geiler Wein! So vermarktet Lukas Krauß seine Weine.
Es geht über den Hof, vorbei an den Lagebehältern hinein in die Halle. Lukas Krauß‘ Vater wuselt im Hintergrund herum: Auch er trägt einen Hut – aus Stroh diesmal. Macht der 27-Jährige etwas anders als sein Vater – außer, dass er den Stroh- gegen einen Cordhut eingetauscht hat? „Alles“, meint Krauß Junior. Er macht trockenere Weine, und die eigene Linie sei auch teurer: Ein bis zwei Euro mehr pro Liter muss man dafür bezahlen. Das kann Kundschaft kosten – oder neue Kunden bringen. Lukas Krauß besteht auch darauf, dass er in seinem Weinberg mehr von der Hand macht. „Knatsch gibt’s immer“, sagt der junge Winzer. Das bleibt bei zwei Generationen unter einem Dach nicht aus.
Ungewöhnlich? Ich tue mich schwer mit dem Begriff. Das hängt ja auch immer von der Sichtweise ab.
Ab in den Weinberg: Lukas Krauß hat ein Wägelchen mit Weinflaschen vollgepackt. Sein Wein soll dort probiert werden, wo er wächst. Also geht es im Gänsemarsch durch die Reihen, der Pfälzer voran. In seinem Wingert blüht viel, der Weinberg wird schließlich ökologisch betrieben. Und auch so sind dem Mann mit Hut seine „Mückelchen“ und anderes Getier wichtig. Zwischendrin hat er ein Insektenhotel gebaut: „Lebensturm“ nennt er es. Eine Hand in der Hosentasche, mit der anderen schenkt er aus. Eigentlich ist er nur Winzer geworden, weil er von der Schule wegwollte, erzählt Krauß. Was er garantiert nicht sein möchte: Normal. Krauß hat seine eigene Klassifizierung erfunden: Seine Weine werden nicht Guts-, Orts- oder Lagenwein genannt sondern mit Hüten klassifiziert: Es gibt 1-Hut und 2-Hut-Weine. Aber ist seine Herangehensweise „ungewöhnlich“? „Ich tue mich schwer mit dem Begriff“, sagt Lukas Krauß, „das hängt ja auch immer von der Sichtweise ab.“
Und da ist er endlich: Der berühmte Pornfelder. Brillant rot schimmert er im Glas, ein Hauch Vanille, sehr trocken. „Kantig“ sollen seine Weine sein, sagt Krauß, sie sollen ihren eigenen Stil haben. Was hat er als nächstes vor? Was man nächstes Jahr für Ideen hat, weiß man doch noch nicht, sagt Krauß und zieht mit seinem Wägelchen weiter.
Lukas Krauß: Der Mann mit Hut zieht mit seinem Wägelchen durch sein Wingert. Die Weine soll man schließlich dort probieren, wo sie herkommen.Und da ist er: Der Pornfelder
Freitagnachmittag am ersten Mai: Durch den Kölner Stadtwald streifen Familien mit Kindern, vor dem Müngersdorfer Stadion spielen Jugendliche in der Sonne Fußball. Es herrscht eine entspannte Frühlingsstimmung. Plötzlich durchbricht eine schrille Stimme die Atmosphäre.
„Gebt mir ein D! Gebt mir ein F! Gebt mir ein B!“ Eine Mädchentruppe marschiert Richtung Stadion, die blonde Vorturnerin gibt alles. Die anderen schmettern mit Elan die restlichen Buchstaben. Nein, das ist keine paramilitärische Übung für angehende Soldatinnen. Am 1. Mai findet im Kölner Stadion das DFB-Pokalfinale der Frauen statt. Turbine Potsdam tritt gegen den VfL Wolfsburg an. Anfangs ignoriert, lange belächelt, hat sich der Frauenfußball seine Nische erkämpft. Als 2006 mit dem Sommermärchen eine Fußball- und Fanwelle übers Land gerollt ist, konnte der deutsche Frauenfußball im Schatten der Männer segeln und Fahrt aufnehmen. Wussten davor die meisten Bürger gar nicht, dass Frauen die Pille nicht nur schlucken, sondern auch kicken, hat sich der Frauenfußball seine Fanzahlen und somit auch Aufmerksamkeit erkämpft. Das DFB-Pokalfinale symbolisiert diese Entwicklung: Kämpften die Frauen bis 2010 im Vorprogramm der Männer in Berlin um die Trophäe, haben sie seitdem ihre eigene Tribüne in Köln. Gerade erst wurde der Vertrag mit dem Rheinenergiestadion bis 2018 verlängert.
Kaffee statt Bier: Das bei einem Fußballspiel!
Eine Stunde bis zum Anpfiff. Noch hält sich der Andrang in Grenzen. Einer der Sicherheitsleute lehnt lässig an einem Pfosten, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Offensichtlich gab es noch nicht viel zu tun heute. Am Eingang wird es voller, die Menschen schieben sich durch die Eingänge und stehen Schlange. Viele Familien sind unterwegs. Frauen und Mädchen sind eindeutig in der Mehrheit. Der klassische Fußballfan mit Fantrikot und Bier: Fehlanzeige. Zwei junge Männer ergattern noch zwei Karten. Die beiden kann man sich gut im Stadion vorstellen. Sind sie echte Fans? Von Frauenfußball? Fehlanzeige: Es sind keine Fans, nur verirrte Touristen aus Belgien, die sich das Stadion anschauen möchten und etwas Atmosphäre vom Event mitnehmen möchten. Passenderweise sind die gerade auf einer „divorce party“ – eine höhere Frauendichte würden sie auch in einem Kölner Club nicht finden.
Ein wenig verloren und unentschlossen steht ein älteres Paar vor dem Stadion. Der grüne Schal um den Hals des Mannes weist die beiden als Wolfsburgfans aus. Das Paar scheint nicht genau zu wissen, wo es hin muss. Warum es hier ist, umso mehr. Martina Müllers Eltern sind extra aus Kassel angereist, um ihre Tochter zu unterstützen. Heute ist das Spiel etwas ganz Besonderes: Die 35-jährige Fußballspielerin hatte ihren Rücktritt angekündigt: Nach dieser Saison ist Schluss mit der Fußballkarriere – nach zehn Jahren bei VfL Wolfsburg und nach 101 Länderspielen für die DFB-Auswahl. „Es war überraschend“, bekennt Mutter Karin. Doch es hätte ja irgendwann kommen müssen. Zu den Gründen möchten sich die Eltern nicht äußern, aber naja, das Alter, deutet die Mutter an, man möchte sein Leben leben. „Jetzt ist ein guter Zeitpunkt“, hat sich Martina Müller dem DFB gegenüber geäußert. Sie sei froh, dass sie ihre Entscheidung nun getroffen habe. „Ich kann mein Leben neu ordnen und den Fokus auf Dinge legen, die in den letzten Jahren durch den Sport zu kurz gekommen sind.“
Es wird eine gute Saison zum Aufhören sein: Das DFB-Pokalfinale wird als einer der fulminanten Mosaiksteine in ihrer Karriere in Erinnerung bleiben. Zwei von drei Toren werden auf ihr Konto gehen. Müller wird ihrem Verein so zum zweiten Mal Pokal sichern.
Die Potsdamerinnen verlassen das Spielfeld. Sie haben gekämpft und alles gegeben, doch Wolfsburg war einfach die bessere Mannschaft.
Die Ränge füllen sich langsam: An die 20.000 Menschen sind gekommen, um sich das DFB-Finale anzuschauen. Immerhin – allerdings kein Vergleich zu den Männerspielen. Die kompletten oberen Ränge bleiben leer, die Haupttribünen ist mit Lücken durchsetzt wie ein Schweizer Käse. Der Pokal wird auf das Spielfeld getragen, ein kurzes Blitzlichtgewitter geht über der Trophäe nieder. Die Bitburgerwerbung an der Bande wirkt seltsam, es nuckeln mehr Leute an einem Becher heißen Kaffee als an einem kühlen Bier. Trotz 20 Grad in der Sonne. Die ersten Klatschpappen werden als Sonnenschutz umfunktioniert. Der Nachbar zieht sich eine Käppi auf. Und da: Es gibt sie noch – die Eisverkäufer, die im roten T-Shirt durch die Ränge laufen und Eis am Stil verkaufen. Die Teams laufen ein. Anpfiff. Es geht los.
Auf dem Rasen stehen und laufen nur Frauen, Männer sieht man nur am Spielrand
Die Teams schenken sich nichts. Drei gelbe Karten vergibt die Schiedsrichterin, die genau wie ihre Linienrichterinnen eine Frau ist. Männer gibt es nur in Gestalt von Trainern, Ärzten oder den beiden Helfern, die in der Halbzeitpause mit einer überdimensionierten Harke den Rasen abtasten, um herausgerissene Erdklumpen aufzusammeln und den Rasen zu glätten.
In der 15. Minute ist es da: Das erste Tor. Von Martina Müller, wem sonst. Die Zuschauer jubeln, es gibt das erste Mal so etwas wie Stimmung im Stadion. Man hat den Eindruck, dass viele für beide Mannschaften jubeln, es gibt nicht diese Rivalität wie bei den Männern. Macht das ein Männerspiel mitreißender und emotionsgeladener? Ein Elfmeter für Vfl Wolfsburg: Wieder verwandelt Müller. Die Atmosphäre im Stadion erinnert leicht an eine EKG-Frequenz: Spitzen mit Jubel wechseln sich mit Phasen des Ich-schau-mal-auf-meinem-Smartphone-nach-was-sich-gerade-bei-Facebook-tut ab. In der 70. Minute rennt ein Flitzer über den Rasen. Es ist ein Mann (sollte man diese Tatsache erwähnen?). Die Spielerinnen sind irritiert, ein Securitymann rennt dem Flitzer hinterher, doch der hängt den schnaufenden Sicherheitsmann im Anzug locker ab. Erst als sich vier Männer auf ihn stürzen, wird er festgenommen und abgeführt. Er hatte noch nicht einmal eine Botschaft, nackt war er auch nicht. Belustigt sind die Zuschauer trotzdem. Die Stimmung wird richtig gut, die ersten La-Ola-Wellen gehen herum. Viel Applaus gibt es auch, als die Moderatorin die Zuschauerzahl verkündet: 19.204 Menschen wollen sich an diesem Feiertag das Spiel ansehen. 89. Minute: Vfl Wolfsburg führt mit 3:0, die Potsdamerinnen sind ihrem Gegner hoffnungslos unterlegen, trotz Kampfeswillen und Teamgeist. Martina Müller wird ausgewechselt. Applaus begleitet die 35-Jährige, die beruflich beim VW-Konzern einsteigen möchte, vom Spielfeld. Ihre Eltern werden mächtig stolz sein. Die Schiedsrichterin pfeift ab. Die Wolfsburgerinnen lassen sich noch ein bisschen feiern, die Zuschauermenge zerstreut sich erschreckend schnell. Ein Frauenfußballspiel läuft (noch) anders ab als beim männlichen Pendant. Wer weiß, wie lange noch.
Die Stimmung beim DFB-Pokalfinale der Frauen ist gut. Doch es fehlt die emotionsgeladene Stimmung, die bei Männerspielen häufig herrscht. Doch es gibt auch Vorteile: Das Aggressive fehlt und keine Mannschaft wird ausgebuht.